Full text: Fürst Bismarck und der Bundesrat. Vierter Band. Der Bundesrat des Deutschen Reichs (1878-1881). (4)

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Ein Fabrikant in Cöln, welcher Verkehrsbeziehungen nach allen Richtungen 
Deutschlands unterhält, hat gegenwärtig, wenn er sich selbst über die geltenden 
Frachtsätze unterrichten will, nicht weniger als 36 Tarife nötig. Für seine 
Beziehungen mit dem Ausland braucht er außerdem eine entsprechende Anzahl 
von Tarifen, und trotzdem wird er wegen der häufig erscheinenden Nachträge 
doch nicht immer in der Lage sein, die Frachtsätze mit Zuverlässigkeit voraus 
berechnen zu können. 
Diese Zahlen sprechen für sich und bedürfen eines weiteren Kommen- 
tars nicht. 
Bezüglich der durch die Einführung des Reformtarifsystems erstrebten Einheit 
ist zunächst zu berücksichtigen, daß die Annahme der vereinbarten schematischen 
Klassifikation von der freien Entschließung der Bahnen abhängig ist, und daß 
ihnen ebenso freisteht, Abänderungen und Ergänzungen nach ihrem Ermessen 
vorzunehmen. Von dieser Befugnis haben, wie eine Durchsicht der Tarifhefte 
ergibt, auch diejenigen Bahnen, welche das Reformtarifschema ihren Tarifen zu 
Grunde gelegt haben, reichlichen Gebrauch gemacht. 
Durch die im weitesten Umfang zugelassenen Ausnahmen bezüglich einzelner 
Produktionsartikel sowie durch die fortwährend eingetretenen Deklassifizirungen 
innerhalb der drei Spezialtarife werden ferner, wie die stattliche Zahl der Aus- 
nahmetarife von 1370 sowie die bis jetzt in nicht weniger als 28 Punkten 
getroffenen Aenderungen in der Nomenklatur der Güter der Spezialtarife zeigen, 
die Vorteile der gemeinsamen Klassifikation empfindlich geschmälert. Ausnahme- 
tarife pflegen auf Antrag einzelner Kaufleute oder Industrieller oder eines 
immerhin mehr oder minder begrenzten Kreises von Interessenten zugelassen zu 
werden, denen sie einen augenblicklichen Vorteil verschaffen, während die Kon- 
kurrenten desselben Industriezweiges, welche von der eintretenden Ausnahme- 
tarifirung beziehungsweise der vorzunehmenden Deklassifizirung erst später 
erfahren, dadurch nicht selten auf das empfindlichste geschädigt werden. 
Von einem Einheitstarife kann bisher um so weniger die Rede sein, als die 
Festsetzung der Maximalsätze jederzeit von den Aufsichtsbehörden geändert werden 
kann, und als den Bahnen innerhalb der Grenzen der Maximaltarife die freie 
Bewegung nach unten gelassen worden ist. Während in Preußen vor der 
Einführung des Reformtarifsystems bei vielen Bahnen jede Tarifveränderung, 
auch das Hinuntergehen unter ein bestimmtes Tarifminimum, an die Ge- 
nehmigung der Aufsichtsbehörde gebunden war, hat man sich sogar jetzt dieses 
Rechts begeben, indem den Eisenbahnen, wenigstens für die Dauer der Bei- 
behaltung des Reformtarifsystems, die unbeschränkte Normirung des Tarifs nach 
unten hin gestattet worden ist. 
Endlich ist in Betracht zu ziehen, daß durch den Bundesratsbeschluß vom 
14. Dezember 1876 nur erklärt worden ist, daß von seiten des Reichs gegen 
die Einführung des Systems im allgemeinen nichts einzuwenden sei, mit der
	        
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