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Während den Eisenbahnen, als vom Staate monopolistisch ausgestatteten
öffentlichen Transportanstalten, die Pflicht der gleichen Behandlung aller obliegen
sollte, wird durch Differenzialtarife dieser Art die dem Monopol als Voraus-
setzung dienende Gleichberechtigung empfindlich gestört. Da diese Tarife von
der zufälligen Gestaltung der wirtschaftlichen Interessen der in Betracht kommenden
Bahnverwaltungen abhängig sind, und da ihre Schwankungen ebenfalls in
diesen zufälligen von den Bedingungen der Produktion unabhängigen Ursachen
ihre Entstehung finden: so sieht sich die heimische Industrie dadurch Aenderungen
ihrer Produktions= und Absatzbedingungen ausgesetzt, denen zu folgen sie nur
unter empfindlichen Nachteilen einzelner im stande ist.
Wenn man zu Gunsten der billigen Konkurrenztarife anführt, daß sie
wohlfeile Frachten für die in Betracht kommenden Verkehrsgebiete ermöglichen,
so ist hierbei neben den schon erwähnten Uebelständen außer acht gelassen, daß
die Bahnen zum Teil genötigt sind, sich für den Ausfall an dem unter den
Differenzialtarif fallenden Verkehr wieder durch höhere Preisstellung in anderem
Verkehr schadlos zu halten. Da die Entstehung der wohlfeilen Differenzialsätze
es mit sich bringt, daß sie vorwiegend nur für Städte ersten Ranges und Zentren
des Verkehrs wirksam sind, so haben sie eine ungesunde Zusammenziehung des
Verkehrs und der Industrien in einzelne große Orte zur Folge, welche wirt-
schaftlich und politisch großen Bedenken unterworfen ist.
In ursächlichem Zusammenhang mit der Entwicklung der Konkurrenz-
verhältnisse zwischen den Eisenbahnen stehen die Bildungen, welche sich in den
Verbands= und direkten Verkehren der einzelnen Bahnen unter einander ergeben
haben. Ihrer historischen Entwicklung nach haben die Verbände der Eisenbahnen
zunächst die Verabredung gemeinsamer Bestimmungen:
über die direkte Expedition von Gütern zwischen Stationen der zu dem
Verbande zusammengetretenen Eisenbahnen, ferner
der reglementarischen Festsetzungen über die Behandlung dieser Güter,
der im gemeinschaftlichen Verkehr zur Anwendung zu bringenden Güter-
klassifikation und der gemeinsamen Tarifvorschriften
zum Zweck gehabt.
Mit dem weiteren Ausbau des deutschen Eisenbahnnetzes sind aber auch
die dadurch hervorgerufenen Konkurrenzverhältnisse auf die Bildung der Ver-
bände von Einfluß gewesen. Sobald für den Verkehr zwischen zwei entfernten
Orten und Verkehrsgebieten sich mehrere Linien zur Verfügung stellen, ist es
das aus dem Sonderinteresse hervorgehende natürliche Bestreben der meisten
Bahnverwaltungen — auch derjenigen, deren Linien keineswegs die kürzeste
Verbindung darstellen — möglichst viel von dem betreffenden Verkehr an sich
zu ziehen.
Um den vernichtenden Folgen eines hieraus entspringenden Konkurrenz-
kampfes zu entgehen, pflegen sich nun die Bahnen innerhalb der Verbände im
Poschinger, Fürst Bismarck und der Bundesrat. IV. 6