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fassungsbestimmungen von Artikel 4 Nr. 8 und von Artikel 41 bis 46 einem
Zweifel nicht ausgesetzt sein.
Die Erfahrung hat gezeigt, daß eine den Absichten der Verfassung ent-
sprechende Ausübung der Kontrolle über das Tarifwesen sich ohne legislative
Einwirkung des Reichs auf die Normirung der Frachtsätze nicht ermöglichen läßt,
und daß die einheitliche Regelung dieser Sätze im Interesse des allgemeinen
Verkehrs als ein unabweisliches Bedürfnis der Nation zu erachten ist.
Den bestehenden Privatbahnen sind durch die Konzessionen der Einzelstaaten
verschiedene Rechte, namentlich bezüglich der Bestimmung der Frachtsätze, bei-
gelegt worden. Diese Rechte sind indessen dadurch wesentlich eingeschränkt, daß
sowohl die Festsetzung als die Abänderung der Tarife fast allgemein an die
Genehmigung der Staatsregierung geknüpft sind. Insbesondere darf der über-
wiegend größte Teil der preußischen Privatbahnen konzessionsmäßig selbst Er-
mäßigungen des Tarifs nur mit Genehmigung der Staatsregierung einführen;
die später durch Ministerialerlasse erteilten weitergehenden Befugnisse sind überall
nur unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs zugestanden worden.
Diese durch die bisherige Gesetzgebung (preußisches Eisenbahngesetz vom 3. No-
vember 1838 § 32) vorgesehene und konzessionsmäßig begründete Einwirkung
der Landesregierungen auf die Normirung der Tarifsätze hat bisher eine Hand-
habe gewährt, um der lediglich im Wege der Vereinbarung in Angriff genommenen
Reform des Tarisschemas Eingang bei den bestehenden Privatbahnen zu ver-
schaffen. Es läßt sich annehmen, daß die Schwierigkeiten, welche sich aus den
Konzessionen der bestehenden Privatbahnen gegen die Durchführung eines gemein-
samen Tarifgesetzes ableiten lassen, sich praktisch als nicht unüberwindlich heraus-
stellen werden.
Vom juridischen Standpunkt können die Konzessionen als ein formelles
Hindernis einer einheitlichen Tarifgesetzgebung des Reichs nicht anerkannt werden.
Das durch die Konzessionen begründete Recht der Eisenbahngesellschaften steht
als ein Privilegium dem Rechte der Gesamtheit gegenüber; geraten beide in
Widerstreit, so entspricht es der Natur der Sache, daß das Sonderinteresse dem
Wohle der Gesamtheit zu weichen hat. Wie es deshalb von jeher in der
Rechtswissenschaft und in der Praxis der Gesetzgebung für unzweifelhaft gegolten
hat, daß Privilegien im Wege der Gesetzgebung aufgehoben werden können, so
läßt sich eine Ausnahme von dieser Regel zu Gunsten der Privilegien der
Eisenbahngesellschaften nicht nachweisen. Sie läßt sich insbesondere nicht daraus
herleiten, daß die Konzessionen zum Teil auf vorgängigen Verhandlungen zwischen
den Staatsregierungen und den Bahnunternehmern beruhen. Denn die Auf-
hebbarkeit der Privilegien wird dadurch nicht ausgeschlossen, daß dieselben auf
einem lästigen Titel beruhen; vielmehr kann dieser Umstand nur in der Ent-
schädigungsfrage von Bedeutung sein, und eine abweichende Behandlung der
onerosen Privilegien im Gegensatz zu den auf Liberalität beruhenden nach sich ziehen.