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Berlin, den 26. März 1872.
An Frau Wanda v. Koethe.
„Ich fürchte, daß sich mein Aufenthalt hier ziemlich lange hinausziehen
wird, da ich jedenfalls so lange bleiben muß, bis das unglückliche Brausteuer-
gesetz,!) bei dem wir so wesentlich interessirt sind, und mit dem jetzt noch der
Ausschuß beschäftigt ist, im Plenum des Bundesrats und in dem Reichstag
durchberaten worden ist. Zwar werde ich versuchen, bei Herrn Delbrück einen
Aufschub bis zur Woche nach den Feiertagen auszuwirken, habe aber wenig
Hoffnung, daß mir der Versuch gelingen wird, da die Hetzerei diesmal fast noch
ärger ist als gewöhnlich. Bis jetzt habe ich, mit Ausnahme des Keiserlichen
Geburstages, jeden Tag, selbst am lieben Sonntag, langatmige Sitzungen gehabt,
gestern zum Beispiel von 10 bis 12 im Biersteuerausschuß, von 12 bis 3 im
Militärausschuß, und von 3 bis nach 5 im Plenum. Zu Besuchen bin ich
deshalb noch nicht gekommen.“
Berlin, den 8. April 1872.
An Frau Wanda v. Koethe.
„Anbei die Thronrede des Reichstags, der heute eröffnet werden wird.
Fürst Bismarck wird sie verlesen, denn der Kaiser eröffnet nicht in Person,
leider, wie ich glaube, weil seine körperlichen Kräfte der Zeremonie kaum ge-
wachsen sein dürften. Von der in der Thronrede angekündigten Vorlage wegen
Verteilung der Kriegsentschädigungsgelder wissen wir noch nichts; ich bin daher
über diesen Passus doppelt erfreut und will nur wünschen, daß mir die Art
und Weise, wie man verteilen will, keine Enttäuschung bringt. 2)
Mit meinem Antrage zum Brausteuergesetz 3) bin ich im Bundesrat glücklich
durchgedrungen; nun wird es darauf ankommen, was der Reichstag dazu sagt.
Bis dahin, wo derselbe darüber Beschluß gefaßt haben wird, muß ich nun
natürlich hier aushalten."
*
1) Dasselbe bezweckte für die norddeutsche Biersteuergemeinschaft die Herstellung eines
allgemein giltigen Gesetzes über die Besteuerung des Bieres, und außerdem die Besteuerung
der Malzsurrogate. Es entwickelte sich aus dieser Vorlage das Gesetz vom 31. Mai 1872.
2) Angespielt ist auf den dem Reichstag mit Schreiben vom 16. Mai 1872 mitgeteilten
Gesetzentwurf, betreffend die französische Kriegsentschädigung, Sten. Ber., Anl. Nr. 92.
3) Der Antrag Seebachs findet sich im § 40 des dem Reichstag vorgelegten Gesetz-
entwurfs wegen Erhebung der Brausteuer. (Drucksache Nr. 11, IJ. Legislaturperiode, III.
Session 1872.) Er bezweckte, den Betrag, um welchen in Sachsen-Coburg-Gotha, Meiningen,
Reuß älterer Linie die daselbst bestehende Malzschrotsteuer den Satz von 20 Silbergroschen
pro Zentner überstieg, den gedachten Bundesstaaten auch fernerhin zu bewilligen. Es war
also eine Konzession im Sinn der Erhaltung einer bestehenden Landeseinnahme (zu ver
gleichen auch die Motive zu § 40).