92 XI. Die Erwerbung von Schleswig-Holstein.
europäischem Gewichte zu geben; sie entsprach nicht minder
dem Interesse der Herzogthümer selbst: „Ich habe nie“, sagt
Bismarck, „in der Ueberzeugung geschwankt, daß Preußen,
gestützt nur auf die Waffen und Genossen von 1848, öffentliche
Meinung, Landtage, Vereine, Freischaaren und die kleinen
Contingente in ihrer damaligen Verfassung, sich auf ein
hoffnungsloses Beginnen eingelassen und unter den großen
Mächten nur Feinde gefunden hätte. Ich hätte den Minister
als Schwindler und Landesverräther betrachtet, der in die
falsche Politik von 1848, 1849, 1850 zurückgefallen wäre, die
uns ein neues Olmütz bereiten mußte. Sobald aber Oester-
reich mit uns war, schwand die Wahrscheinlichkeit einer Coalition
der andern Mächte gegen uns.“
Die Befreiung der Herzogthümer von dänischer Herr-
schaft war der Preis des Sieges; nun aber heischte die Frage
Antwort, was aus dem gemeinschaftlich erworbenen Besitz-
thum beider deutschen Großmächte werden sollte. Bismarck
trat bei dem Könige lebhaft für die preußische Besitznahme ein,
stieß aber auch jetzt noch auf harten Widerstand. Der König
behauptete, kein Recht auf die Herzogthümer zu haben,
fürchtete sich auch vor der Mißbilligung, die er, wenn er den
Augustenburger aufgab, bei seiner Gemahlin, bei dem kron-
prinzlichen Paare, bei verschiedenen Dynastien und bei Denen
zu erwarten hatte, welche damals in seiner Auffassung die
öffentliche Meinung bildeten. Erst die Mißhelligkeiten, die der
Gemeinbesitz herbeiführte, zwangen ihn, der Frage einer Be-
sitzergreifung näher zu treten; die Verwaltungstheilung, die
der Gasteiner Vertrag (14./20. August 1865) herstellte, konnte
die Bahn für eine Erwerbung wenigstens von Schleswig ebnen.
Die Antwort des Königs auf Bismarcks Brief vom 1. August
1865 — beide Stücke sind den „Gedanken und Erinnerungen“
einverleibt — zeigt einen bedeutenden Fortschritt von der
Augustenburgischen zur preußischen Auffassung hinüber, lehrt
freilich auch, wie schwach sein Glaube an eine wirkliche Eigen-
thumstheilung auch damals noch war. Der Gasteiner Vertrag,
der Preußen das Herzogthum Lauenburg gegen eine Geld-
zahlung zum Besitz überwies, bedeutete einen Wendepunkt im