Full text: Wegweiser durch Bismarcks Gedanken und Erinnerungen. (3)

94 XI. Die Erwerbung von Schleswig-Holstein. 
graphisch nicht finden können, die Fraction, resp. Unterfraction 
und Coterie, wo sie die Ersten sein können. Diese Sinnes- 
richtung, die man nach Belieben Egoismus oder Unabhängig- 
keit nennen kann, hat in der ganzen deutschen Geschichte von 
den rebellischen Herzögen der ersten Kaiserzeiten bis auf die 
unzähligen reichsunmittelbaren Landesherren, Reichsstädte, 
Reichsdörfer, -Abteien und -Ritter und die damit verbundene 
Schwäche und Wehrlosigkeit des Reiches ihre Bethätigung ge- 
funden. Einstweilen findet sie im Parteiwesen, welches die 
Nation zerklüftet, stärkeren Ausdruck als in der rechtlichen 
oder dynastischen Zerrissenheit. Die Parteien scheiden sich 
weniger durch Programme und Prinzipien, als durch die 
Personen, welche als Condottieri an der Spitze einer jeden 
stehen und für sich eine möglichst große Gefolgschaft von Ab- 
geordneten und publicistischen Strebern anzuwerben suchen, 
die hoffen, mit dem Führer oder den Führern zur Macht zu 
gelangen.“ 
Die Einsetzung des Augustenburgers hat Bismarck anfangs 
als eine der Möglichkeiten ernstlich erwogen, ohne auf die 
Rechtsfrage dabei sonderlich Gewicht zu legen. Daß die Augusten- 
burger ein juristisches Recht nicht geltend machen konnten, 
war ihm unbestreitbar. War aber die preußische Annexion 
nicht zu erreichen, so konnte die Augustenburgische Dynastie 
bei der Vergebung des eroberten Landes berücksichtigt werden, 
wenn sie Preußen gewisse Hoheitsrechte einräumte. Dazu 
hatte aber der Erbprinz Friedrich keine Neigung. Ohne irgend 
etwas für die Wahrnehmung seines „Rechtes“ gethan zu 
haben, verlangte er die volle Souverainetät und sträubte sich 
vor allem gegen jede Landabtretung an der Bucht von Kiel, 
die Preußen zur Anlage von Befestigungen forderte. Er er- 
scheint so recht als der Typus des deutschen Kleinfürsten, der 
sich dem großen preußischen Nachbar als Fürst „von Gottes 
Gnaden“ ebenbürtig dünkt und doch in beständiger Angst lebt, 
von den Krallen des preußischen Adlers zerfleischt zu werden. 
Seit der Unterredung vom 1. Juni 1864, in der der Erbprinz 
sich den preußischen Forderungen durchaus unzugänglich erwies, 
war er aus den Bismarckschen Erwägungen auzgeschlossen.
	        
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