Der russische Bündnißantrag von 1863. 107
wie in dem Wiener Congreß und mit noch mehr Gewicht werde
vorschreiben können, wie unser Friede beschaffen sein solle.“
Da ein preußisch-russischer Krieg gegen Oesterreich und seine
Verbündeten unter den Mittel= und Kleinstaaten nicht in der
Linie der nationalen Entwickelung gelegen hätte, die deutsche
Einheit unter preußischer Führung nur durch die eigene natio-
nale Kraft ohne fremde Unterstützung geschaffen werden durfte,
so empfahl sich auch aus diesem Grunde das Offensivbündniß mit
Rußland nicht. Für die Beilegung des innern Conflicts aber
glaubte der König stark genug zu sein, seitdem er Minister
gefunden hatte, die die Sache der Krone den parlamentarischen
Machtbestrebungen gegenüber mit Entschlossenheit und doch mit
der Maßhaltung vertraten, die dem besonnenen Staatsmann
die Ueberlegenheit über die Leidenschaft des Parteimanns
sichert. Fühlte der König von Preußen die Kraft, etwaige
revolutionaire Erhebungen im eigenen Lande durch Waffen-
gewalt niederzuschlagen, so wäre eine Ablenkung der Leiden-
schaften nach außen durch den Krieg gegen Frankreich oder
Oesterreich eine Frivolität gewesen, die mehr französischer als
deutscher Auffassung von den Regentenpflichten eines Fürsten
entsprochen hätte. Auch die Frage mußte sich Bismarck vor-
legen, ob Preußen nach dem Siege über Frankreich und Oester-
reich auf seine Rechnung kommen würde. Er mußte sie in
Erinnerung an Tilsit, Erfurt, Olmütz verneinen. Es war
wahrscheinlich, daß sich Rußland mit Preußen nicht über die
Zukunft Oesterreichs einigen würde, ebenso wahrscheinlich, daß
es sich einer Verstärkung der Westgrenze Deutschlands wider-
setzen würde, um Preußen für künftige Kriege gegen Frank-
reich unterstützungsbedürftig zu erhalten und durch Abhängig-
keit seinen Ehrgeiz zu zügeln. Ob je die Zeit kommen wird,
da diese Denkschrift dem Dunkel der Archive entnommen, der
Oeffentlichkeit unterbreitet wird als ein Zeugniß Bismarckscher
Staatskunst? Es widerstrebt dem Historiker, an die von Fürst
Bismarck berührte Möglichkeit zu glauben, es könnte die an-
geregte Zerstörung der Documente sich vollziehen, die von
seiner politischen Thätigkeit Kunde geben. Mit solcher Bar-
barei wäre weder dem deutschen noch dem dynastischen Interesse