154 XV. Bruch mit den Conservativen. Intrigen. Die Ressorts.
ist, daß Fürst Bismarck niemals den Gedanken gehabt hat,
einen Präventivkrieg zu führen, und allen militairischen An—
regungen dieser Art schroff entgegentrat. Das Deutsche Reich
hatte von Anbeginn seine große Macht in den Dienst des
Friedens gestellt; der Kaiser, der schon den Krieg von 1870
gern vermieden hätte, wäre nie zu bewegen gewesen, angriffs-
weise gegen Frankreich vorzugehen, ganz abgesehen von den
fast einem Verbote gleichkommenden Schwierigkeiten, die die
deutsche Reichsverfassung einer deutschen Kriegserklärung ent-
gegenstellt. Und welchen Nutzen hätte ein solcher Krieg haben
können? Selbst wenn es uns gelungen wäre, Frankreich aber-
mals zu schlagen, so würde doch die Frivolität einer Kriegs-
erklärung ohne stichhaltigen Grund eine Verbindung von Ruß-
land, Oesterreich und England herbeigeführt haben zu activem
Vorgehen gegen das neue, noch nicht consolidirte Reich, das
mit seinen Angriffe auf den ungerüsteten Nachbar in die
Bahnen Napoleonischer Prestige-Politik eingelenkt wäre. Als
Gortschakow im Mai 1875 im Gefolge des Kaisers Alexander II.
in Berlin erschien, klärte ihn die Unterredung mit Bismarck
über die gänzliche Unhaltbarkeit der französischen Kriegs-
befürchtungen auf; gleichwohl war er unehrlich genug, durch
ein von Berlin aus versendetes Telegramm (dessen Wortlaut,
wenn ich recht unterrichtet bin, Fürst Bismarck erst einige
Zeit nachher durch den König von Schweden erfuhr) die Welt
glauben zu machen, daß nunmehr — also durch sein Ein-
greifen — der Friede gesichert sei. Auf Gortschakow lastete
eine starke Hypothek von Eitelkeit und Neid gegen Bismarck;
in seinem Bestreben, eine Rolle zu spielen, ließ er sich verleiten,
„hinterrücks auf Bismarcks Schultern zu springen, um dort
eine Circusvorstellung zum Besten zu geben“. Mit bitterer
Satire strafte Bismarck den „Schutzengel Frankreichs“ und
führte Klage über ihn beim Zaren. Alexander bat ihn zwar,
die greisenhafte Eitelkeit seines Kanzlers nicht zu ernst zu
nehmen, versäumte aber, seiner Mißbilligung „einen hinreichend
authentischen Ausdruck“ zu geben, um die Legende von Deutsch-
lands Absicht, 1875 Frankreich zu überfallen, aus der Welt
zu schaffen. Für den Unbefangenen freilich wird das früher