Nationalliberale Hoffnungen und Wünsche. 157
Sr. Majestät als Ministercandidat zu präsentiren; die un-
gnädige Verurtheilung aber, die er durch das keiserliche
Schreiben erfahren habe, nöthige ihn, sein Abschiedsgesuch vom
Frühjahr zu erneuern. Der Kaiser erwiderte darauf, daß er
falsch berichtet worden sei, und bat Bismarck, den Brief als
ungeschrieben zu betrachten. Dieser gab infolge dessen dem
Abschiedsgesuch keine weitere Folge. Die Nervenaufregung
aber, die der ganze Vorgang ihm verursachte, führte zu einem
Rückfall seiner Krankheit. Bennigsen blieb die Abneigung des
Kaisers gegen seine Person verborgen, er hielt die Frage
seines Eintritts noch für eine schwebende, als Bismarck im
Februar 1878 nach Berlin zurückgekehrt war, und lehnte erst
am 22. Februar definitiv ab, als ihm der Reichskanzler das
Tabaksmonopol als Ziel seiner Steuerpolitik bezeichnete.
Die Nationalliberalen gaben darum die Hoffnung nicht
auf, Einfluß auf die Regierungspolitik zu gewinnen. Sie
knüpften zu diesem Zwecke Beziehungen zu mehreren von Bis-
marcks Collegen an, wie Friedenthal und Botho zu Eulenburg,
welcher letztere das Ohr des Grafen Otto von Stolberg, des
stellvertretenden Ministerpräsidenten, besaß. Fürst Bismarck
glaubte sich in dieser Zeit einem System der Abdrängung von
den Geschäften seiner amtlichen Stellung gegenüber zu befinden,
das sich ihm in allerlei heimlichen, ohne sein Vorwissen ge-
troffenen Abreden mit den Präsidien von Land= und Reichs-
tag, sowie parlamentarischen Parteiführern und in der Nicht-
einholung seines Votums in materiellen Vorlagen während seiner
Abwesenheit äußerte. In der Conseilsitzung vom 5. Juni 1878,
die wegen der schweren Verwundung des Kaisers unter dem
Vorsitz des Kronprinzen abgehalten wurde, erlebte er es, daß
mehr als die Hälfte seiner Collegen seinem Antrage auf Auf-
lösung des Reichstages nicht zustimmte, weil der Reichstag
sicher bereit sein werde, das nach dem Hödelschen Attentat
(11. Mai 1878) verweigerte Ausnahmegesetz jetzt nach dem
Nobilingschen Mordversuch (2. Juni 1878) zu bewilligen. Es
kam den Ministern offenbar unerwartet, daß sich der Kron-
prinz für Bismarcks Ansicht entschich und die Auflösung gut-
hieß; hätte er sich, wie man erwartet hatte, der Mehrheit