Convention von Reichstadt. Berliner Congreß. 167
Schuwalow war, und war nun eifrig bemüht, nach außen hin
seine Unzufriedenheit mit dem Gange der Congreßverhand-
lungen und selbst der definitiven Beschlüsse kund zu thun,
denen Schuwalow im Auftrage des Zaren seine Stimme und
Unterschrift lieh. „Er suchte“, sagt Bismarck (23. Capitelhd,
„seine russische Popularität im Sinne der „Moskauer Zeitung"“
frei zu halten von den Rückwirkungen russischer Concessionen,
und bei Congreßsitzungen, wo solche in Aussicht standen, blieb
er aus unter dem Vorwande des Unwohlseins, trug aber
Sorge, sich am Parterrefenster seiner Wohnung unter den
Linden als gesund sehen zu lassen. Er wollte sich die Mög-
lichkeit wahren, vor der russischen „Gesellschaft“ in Zukunft zu
behaupten, daß er an den russischen Concessionen unschuldig
wäre: ein unwürdiger Egoismus auf Kosten seines Landes."“
Dabei war es eine unehrliche Fiction, wenn Gortschakow
behauptete, daß Rußland auf dem Congresse schlecht abge-
schnitten habe, und eine offene Lüge, wenn die russischen Zei-
tungen, ohne von der die Presse sonst so sehr zügelnden russi-
schen Regierung berichtigt zu werden, Deutschland beschuldigten,
die Sache der Feinde Rußlands gefördert zu haben. Von
beidem ist das Gegentheil wahr: „Der russische Abschluß blieb
auch nach dem Congresse immer noch einer der günstigsten,
wenn nicht der günstigste, den Rußland jemals nach türkischen.
Kriegen gemacht hat“", und „kein russischer Wunsch ist auf dem
Berliner Congresse ausgesprochen worden, den Deutschland
nicht zur Annahme gebracht hätte; unter Umständen durch
energisches Auftreten bei dem englischen Premierminister (Lord
Beaconsfield)), obwohl letzterer krank und bettlägerig war."“
Die von Gortschakow geförderte Preßhetze führte zu einer Ent-
fremdung zwischen Rußland und Deutschland, für die weder
im Interesse des einen noch des andern dieser großen Nachbar-
reiche das mindeste Bedürfniß vorlag. Sie äußerte sich in der
Anmaßung, mit der man in Petersburg bei den diplomatischen
Verhandlungen über die Ausführung der Congreßbeschlüsse die
unbedingte Förderung jedes russischen Interesses durch Deutsch-
land erwartete, in der „nörgelnden Mißbilligung“", der man
auch dann Ausdruck gab, wenn die deutsche Diplomatie der