Full text: Wegweiser durch Bismarcks Gedanken und Erinnerungen. (3)

Die Arbeit des Fürsten an dem Werke. Seine Bedeutung. 7 
Aus einzelnen Randbemerkungen ist zu entnehmen, daß der 
Fürst beabsichtigte, gewisse Lücken, die er selbst als solche 
empfand, durch besondere Capitel auszufüllen. So hätte er 
gern die Ereignisse von 1866—70 neben dem die Organisation 
des Norddeutschen Bundes behandelnden Capitel in einem be- 
sonderen Abschnitte dargestellt; aber es fehlte seit Buchers Tod 
die antreibende Kraft. Auch war Bucher, der über ein um- 
fassendes Gedächtniß gebot und als Mitarbeiter des Fürsten 
in alle politischen Vorgänge eingeweiht war, durch Niemand 
zu ersetzen. Dazu kamen als Hemmnisse die Leiden des Alters 
und eine nach solchen Leistungen wohl erklärliche Müdigkeit, 
der Tod der über Alles geliebten Gattin, die tägliche Unter- 
brechung durch Einzelbesuche und Massenempfänge und die Be- 
schäftigung mit der Tagespolitik, zu alledem noch eine private 
Correspondenz in Briefen und Telegrammen, deren Umfang 
mit jedem Jahre wuchs und eine Fülle von Zeit und geistiger 
Kraft in Anspruch nahm, die für die retrospective Arbeit des 
Historikers nur ein bescheiden Theil übrig ließ. Und doch, 
welche Tiefe der Gedanken, welche Reife des Urtheils, welche 
Klarheit der Sprache, welche Schönheit des Ausdrucks, welche 
prophetische Weisheit bei der Erörterung zukünftiger Ge- 
staltungen! Der französische Kritiker sagt zwar — und der 
deutsche schreibt's ihm mit einer Art Genugthuung nach —, „die 
Gedanken seien nicht einmal bedeutender Natur, und das Werk 
könne einen Vergleich weder mit den Memoiren Marmonts 
noch Pasquiers, geschweige denn Guizots aushalten“; ich aber 
behaupte, daß es in der ganzen politischen und historischen 
Litteratur des 19. Jahrhunderts ein zweites Werk von ähn- 
licher Bedeutung gar nicht giebt, und daß die Deutschen stolz 
darauf sein können, ein solches monumentum aere perennius 
zu besitzen. Gewiß, gar manchen wird's enttäuschen, wie viele 
Zeitgenossen Goethes fast jedes einzelne Werk des geistigen 
Riesen unbefriedigt ließ. Der große Haufe, der von einem 
Buche nur leichten und flüchtigen Genuß erwartet, wird ver- 
gebens nach dem Schmutze und den Piquanterien suchen, die 
Varnhagens Tagebücher in so reicher Fülle bieten. Aber die 
ernsten Leute, die nach Belehrung und Erbauung streben,
	        
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