Full text: Wegweiser durch Bismarcks Gedanken und Erinnerungen. (3)

Der Vorwurf tendenziöser Geschichtsschreibung. 11 
Wie sagt doch Goethe in den zahmen Xenien: 
Im Auslegen seid frisch und munter! 
Legt ihr's nicht aus, so legt was unter! 
Da hätten wir ja eine ganz wundervolle Tendenz, so recht 
geeignet, den Fürsten als einen kleinen Menschen an den 
Pranger zu stellen, den der Neid zu gehässiger Kritik trieb, 
um sich die Ehre des Triumphes vor der Nachwelt zu sichern. 
Mir ist die Röthe des Zornes in die Wange gestiegen, nicht 
darüber, daß der Franzose dies geschrieben hat, wohl aber 
darüber, daß der deutsche Referent kein Wort des Einspruchs 
gefunden hat, auch ohne die „Gedanken und Erinnerungen" zu 
kennen. Er hat den ersten Reichskanzler in einem langen 
Leben beobachten können, mußte wissen, daß Niemand bereit- 
williger als Fürst Bismarck die eigenen Erfolge seinem Könige 
zurechnete, mit seinem Leibe jeden gegen seinen alten Herrn 
gerichteten Angriff parirte, und hatte, gestützt auf diese Kenntniß, 
die nationale Pflicht, dem Fremden gegenüber auf's Schärfste 
gegen eine, noch dazu so verclaufulirte Beschuldigung des 
größten Sohnes unseres Volkes zu protestiren. Fürst Bis- 
marck ist bis an seinen Tod der treue deutsche Diener 
Kaiser Wilhelms l. gewesen. Aber die Treue zeigt sich 
nicht in dem Bestreben, die Dinge auf den Kopf zu stellen und 
die entscheidende That dem Herrscher zuzuweisen, der unter 
den so mannigfach sich kreuzenden Einflüssen des festen un- 
beugsamen Rathgebers bedurfte und — darin liegt seine 
wahre Größe — in edler Selbstbescheidung dem kühnen 
Rathe des überlegenen Genies sich unterordnete; sie zeigt sich in 
der liebevollen Hingebung, mit der Bismarck immer wieder von 
seinem „alten Herrn“ spricht, der warmblütigen Schilderung 
seiner Herzens= und Charaktereigenschaften, dem ehrlichen Danke, 
den er zollt für jeden Beweis gnädiger Gesinnung, die der 
Kaiser ihm gegenüber an den Tag legte. Ist es nicht rührend 
zu lesen, wenn Fürst Bismarck schreibt, daß die Kämpfe, die 
er mit dem Könige in Nikolsburg durchzufechten hatte, und 
analoge Vorgänge bei ihm keinen andern Eindruck hinterlassen 
hätten als die schmerzliche Erinnerung, daß er einen Herrn, 
den er persönlich liebte wie diesen, so habe verstimmen
	        
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