Der Vorwurf tendenziöser Geschichtsschreibung. 11
Wie sagt doch Goethe in den zahmen Xenien:
Im Auslegen seid frisch und munter!
Legt ihr's nicht aus, so legt was unter!
Da hätten wir ja eine ganz wundervolle Tendenz, so recht
geeignet, den Fürsten als einen kleinen Menschen an den
Pranger zu stellen, den der Neid zu gehässiger Kritik trieb,
um sich die Ehre des Triumphes vor der Nachwelt zu sichern.
Mir ist die Röthe des Zornes in die Wange gestiegen, nicht
darüber, daß der Franzose dies geschrieben hat, wohl aber
darüber, daß der deutsche Referent kein Wort des Einspruchs
gefunden hat, auch ohne die „Gedanken und Erinnerungen" zu
kennen. Er hat den ersten Reichskanzler in einem langen
Leben beobachten können, mußte wissen, daß Niemand bereit-
williger als Fürst Bismarck die eigenen Erfolge seinem Könige
zurechnete, mit seinem Leibe jeden gegen seinen alten Herrn
gerichteten Angriff parirte, und hatte, gestützt auf diese Kenntniß,
die nationale Pflicht, dem Fremden gegenüber auf's Schärfste
gegen eine, noch dazu so verclaufulirte Beschuldigung des
größten Sohnes unseres Volkes zu protestiren. Fürst Bis-
marck ist bis an seinen Tod der treue deutsche Diener
Kaiser Wilhelms l. gewesen. Aber die Treue zeigt sich
nicht in dem Bestreben, die Dinge auf den Kopf zu stellen und
die entscheidende That dem Herrscher zuzuweisen, der unter
den so mannigfach sich kreuzenden Einflüssen des festen un-
beugsamen Rathgebers bedurfte und — darin liegt seine
wahre Größe — in edler Selbstbescheidung dem kühnen
Rathe des überlegenen Genies sich unterordnete; sie zeigt sich in
der liebevollen Hingebung, mit der Bismarck immer wieder von
seinem „alten Herrn“ spricht, der warmblütigen Schilderung
seiner Herzens= und Charaktereigenschaften, dem ehrlichen Danke,
den er zollt für jeden Beweis gnädiger Gesinnung, die der
Kaiser ihm gegenüber an den Tag legte. Ist es nicht rührend
zu lesen, wenn Fürst Bismarck schreibt, daß die Kämpfe, die
er mit dem Könige in Nikolsburg durchzufechten hatte, und
analoge Vorgänge bei ihm keinen andern Eindruck hinterlassen
hätten als die schmerzliche Erinnerung, daß er einen Herrn,
den er persönlich liebte wie diesen, so habe verstimmen