Full text: Wegweiser durch Bismarcks Gedanken und Erinnerungen. (3)

12 III. Die „Gedanken und Erinnerungen“ als Geschichtswerk. 
müssen? Wahrlich, hätte Fürst Bismarck, dem Beispiele ge- 
horsamer Hofhistoriographen folgend, in seinen „Gedanken und 
Erinnerungen" dem leitenden Minister, der für alle Regierungs- 
Handlungen seines Königs verfassungsmäßig verantwortlich 
war, die Rolle des fügsamen Werkzeuges gegeben, das nur 
dem Drucke des Meisters folgt, er wäre mit einer Unwahrheit 
aus dem Leben gegangen, die die Geschichte ihm nie verziehen 
hätte. Er hatte das Bewußtsein und durfte es haben, der 
Schöpfer des Deutschen Reiches gewesen zu sein; aber nirgends 
verleitet ihn dieses Bewußtsein zu eitler Ueberhebung und 
Selbstbespiegelung. Immer giebt er dabei dem Könige, was 
dem Könige gebührt, und bescheiden bekennt er, daß er ohne 
des Königs tapfere Mitwirkung nicht habe ausführen können, 
was ihm dann so herrlich gelang. Ich bin überzeugt, daß 
jeder Leser der „Gedanken und Erinnerungen“ von der Person 
Kaiser Wilhelms I. das Bild eines wahrhaft großen Mo- 
narchen gewinnen wird, nicht in dem Sinne, wie man das 
Prädicat früher gebrauchte und gebrauchen durfte, weil 
alle That aus der Initiative des Herrschers hervor- 
ging, sondern in einem höheren, edleren Sinne. Ich behaupte, 
und Niemand wird das Gegentheil erweisen können, daß den 
Fürsten Bismarck kein anderer Trieb leitete, als der, der 
geschichtlichen Wahrheit zu dienen, nichts zu beschönigen, nichts 
zu verhüllen, und für die Beurtheilung von Menschen und 
Dingen, Bestrebungen und Ereignissen ein Material zur Ver- 
fügung zu stellen, wie es nur seiner reichen persönlichen 
Erfahrung zu Gebote stand. Steht dies aber fest, dann 
werden auch die „Gedanken und Erinnerungen“ zu einem 
Quellenwerke ersten Ranges, das kein Historiker des 
19. Jahrhunderts fürderhin außer Acht lassen darf. 
Es könnte noch der Einwand erhoben werden, daß der 
Fürst bei der rückschauenden Betrachtung der Dinge unbewußt 
die Anschauungen des Greises hineingetragen habe in die Ver- 
gangenheit, die er schilderte. Er wiegt leicht gegenüber den 
vorliegenden Zeugnissen der Sicherheit, mit der Fürst Bismarck 
sich noch in seinem hohen Alter bei der wunderbaren Kraft 
seines Gedächtnisses von früheren Gedankengängen Rechenschaft
	        
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