Full text: Wegweiser durch Bismarcks Gedanken und Erinnerungen. (3)

Ein Quellenwerk ersten Ranges. Bismarcks Gedächtnißstärke. 13 
zu geben wußte. Als ich einst bei den Vorarbeiten zur Heraus- 
gabe der politischen Reden auf eine im stenographischen Bericht 
verballhornte Stelle stieß, deren Verbesserung mir nicht ge- 
lingen wollte, genügte es, den Fürsten mit der damaligen 
Situation vertraut zu machen, und nach einer auf seinem Ge- 
sichte bemerkbaren gewaltigen Gedankenarbeit quoll aus seinem 
Innern heraus die Rede, die er damals gehalten hatte, während 
ich in dem gedruckten Texte nachlas bis weit über die ent- 
stellte Stelle hinaus, die Fürst Bismarck nun mit unfehlbarer 
Sicherheit im mündlichen Vortrag verbesserte. Auf einen ähn- 
lichen Fall habe ich in den „Gedanken und Erinnerungen“ 
anmerkungsweise hingedeutet (Bd. I, 257). Am 26. Juni 1862 
hatte Bismarck eine Unterredung mit Napoleon in Fontainebleau. 
Ueber diese Unterredung berichtete er seinem vorgesetzten 
Minister, dem Grafen A. Bernstorff, in einem Briefe vom 
28. Juni 1862, dessen Original bis zum Frühjahre 1898 im 
Bernstorffschen Familienarchive geruht hat und erst jüngst im 
Bismarck-Jahrbuche (Bd. VI, 152 ff.) von mir veröffentlicht 
worden ist. Keinerlei Abschrift war in den Händen Bismarcks 
geblieben, und doch war die Unterredung mit Napoleon so 
deutlich seiner Seele eingeprägt, daß er nach 30 Jahren frei 
aus dem Gedächtniß ihren Inhalt in seinen „Gedanken und 
Erinnerungen“ wiederzugeben vermochte, oft mit genau den- 
selben Worten, in denen er in seinem Briefe berichtet hat. Ich 
stelle zum Beweis den betreffenden Theil des Briefes neben 
den Text der „Gedanken und Erinnerungen“: 
Brief vom 28. Juni 1862. Gedanken und Erinnerungen 
B.-J. VI, 152. I. 256. 
Der Kaiser hatte mich gesternt) Am 26. Juni hatte der Kaiser 
nach Fontainebleau eingeladen mich nach Fontainebleau ein- 
und machte nach meiner Ankunft geladen und machte mit mir einen 
  
1) Das würde den 27. als Tag der Audienz ergeben, doch liegt 
hier ein Versehen vor, wahrscheinlich nur ein Verschreiben. In einem 
vorausgehenden Briefe Bismarcks vom selben Tage (28. Juni) an Bernstorff 
(Bismarck-Jahrbuch VI. 151) heißt es: „Vorgestern beim Kaiser kam ich 
etwas in die Lage Josephs bei der Frau von Potiphar. Er hatte die 
unzüchtigsten Bündnißvorschläge auf der Zunge“ rc.
	        
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