Full text: Wegweiser durch Bismarcks Gedanken und Erinnerungen. (3)

42 VI. Aus der Frankfurter Zeit. 
dem lebhaften Temperament einer erwachsenen und zur Ueber- 
nahme der Führung in ihrem Kreise geneigten Tochter, viel- 
leicht auch in einer Idiosynkrasie gegen die präpotente Persön= 
lichkeit des Kaisers Nicolaus begründet lag. Ihr geschickter 
Amanuensis war Herr v. Schleinitz, der als Specialpolitiker der 
Prinzessin und nachmaligen Königin und Kaiserin in ihrem 
Auftrage Briefe und Actenstücke zu beschaffen oder auch ad hoc 
zu redigiren hatte, die zur Beeinflussung des Gemahls erwünscht 
waren. Seitdem der Prinz von Preußen im Jahre 1849 als 
Gouverneur der Rheinprovinz seine Residenz dauernd nach 
Coblenz verlegt hatte, verdichtete sich allmählich die gegen- 
seitige Stellung der beiden Höfe von Sanssouci und Coblenz 
zu einer geheimen Gegnerschaft. An jenem hatte die nach dem 
Tode des Generals v. Rauch vom General Leopold v. Gerlach 
geleitete sogenannte Camarilla, zu der die Grafen Anton Stol- 
berg, Friedrich zu Dohna, Karl v. d. Gröben, Frhr. Edwin 
v. Manteuffel, Cabinetsrath von Niebuhr, während des Krim- 
kriegs auch Graf Münster gehörten, das Heft in Händen, an 
diesem die Prinzessin von Preußen, die in den Rheinlanden 
mehr und mehr katholisirenden Einflüssen unterlag. Zum Glück 
fand das staatliche Interesse am prinzlichen Hofe in der Ab- 
wehr von Schädigungen durch weibliche Einflüsse einen festen 
und klugen Vertreter an Gustav von Alvensleben, der sich die 
Aufrechterhaltung des Friedens zwischen beiden Höfen zur Auf- 
gabe machte und glücklicherweise in der Treue seines prinz- 
lichen Herrn einen starken Halt fand gegenüber allen auf seine 
Beseitigung gerichteten Ränken. 
Herr v. Bismarck ist in den Jahren seiner Frankfurter 
Gesandtschaft mehr als einmal der Candidat des Königs für 
den eventuellen Ersatz Manteuffels gewesen, richtiger vielleicht: 
der König benutzte die Drohung mit der Berufung Bismarcks 
zur „Territion“ Manteuffels, um diesen immer wieder zum 
Gehorsam zu zwingen. Denn der König wollte gehorsame 
Minister und konnte sich offenbar in die Rolle eines constitutio- 
nellen Monarchen nicht hineinleben, der in der Verantwort- 
lichkeit der Minister die beste Bürgschaft für die Dauer der 
dynastischen Rechte besitzt. Manteuffel als Ministerpräsident
	        
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