46 VI. Aus der Frankfurter Zeit.
than hatte, drängte er zur Abreise, da üble Nachrichten über
das Befinden der Gattin ihn beunruhigten. Der König suchte
ihn zu halten, indem er ihn — ein Beweis großer Gunst —
auf das Gefolge übertrug, war aber um so mehr gereizt, als
Bismarck dennoch reiste. Die Ungnade des Königs erstreckte
sich auch auf die von Bismarck aufgesetzte Depesche. Obwohl
der Entwurf bereits abgegangen war, wurde er doch tele-
graphisch angehalten und dann geändert.
Eine ernstere Verstimmung machte sich geltend nach
dem Besuche Bismarcks in Paris. Er begab sich im August
1855 dorthin, um als Gast des preußischen Gesandten, des
Grafen Maximilian v. Hatzfeldt, der Feier des Napoleons-
tages (15. August) beizuwohnen und die Industrieausstellung
zu sehen. Am französischen Hofe durch seinen Gastgeber
eingeführt, stand er zum ersten Male dem Imperator gegen-
über. Bei den verschiedenen Besprechungen, die er damals
mit dem Kaiser hatte, gab Napoleon nur in allgemeinen
Worten seinen Wunsch und seine Absicht im Sinne einer
französisch-preußischen Intimität zu erkennen: er meinte, daß
diese beiden benachbarten Staaten, die vermöge ihrer Bildung
und ihrer Einrichtungen an der Spitze der Civilisation ständen,
auf einander angewiesen seien. Wenn Herr v. Bismarck
aus Gründen der Politik die Anknüpfung freundschaftlicher Be-
ziehungen zu dem Oberhaupte des französischen Staates seinem
Könige empfahl, so geschah es in der Hoffnung, durch staats-
männische Erwägungen persönliche Abneigungen überwinden zu
können, die am preußischen Hofe geflissentlich gegen Napoleon,
als Träger der Revolution, von den starren Vertretern des
Legitimitätsprinzips gepflegt wurden. Die Hoffnung betrog
ihn, er selbst wurde verdächtig und mußte sich in einer langen,
den „Gedanken und Erinnerungen“ einverleibten Correspondenz
mit dem General L. v. Gerlach über den Begriff der Legitimität
auseinandersetzen, ohne den Gegner von der Verkehrtheit seiner
Anschauungen zu überzeugen. Die Briefe Bismarcks, die von
mir schon früher in den „Briefen Bismarcks an den General
L. v. Gerlach“" herausgegeben worden sind, sind wahre Cabinets-
stücke in ihrem gesunden politischen Realismus und in Bezug