78 X Convention. Preßverordnung. Fürstentag. Ludwig II.
Am russischen Hofe stritten damals Polonismus und
Absolutismus mit einander. In den höheren Kreisen der
russischen Gesellschaft war im Anfange der sechziger Jahre das
Verlangen nach einer Verfassung lebendig; es wurde gern
befürwortet durch den Hinweis auf die Polen, denen man in
Anbetracht ihrer hohen geistigen Bildung nicht wohl zumuthen
könnte, sich dem Drucke des russischen Absolutismus zu fügen
und an der Regierung des Landes ohne denjenigen Antheil
zu bleiben, den die in der Bildung gleichstehenden Völker
Europas außerhalb Rußlands besäßen. Gortschakow, der in
einem Parlamente ein geeignetes Feld zur Entfaltung seiner
Redegabe und zur Pflege seines Popularitätsbedürfnisses
gefunden hätte, war diesen Bestrebungen nicht feind und redete
im Cabinet des Kaisers einer panslavistischen antideutschen
Verbrüderung zwischen Russen und Polen das Wort. Kam
diese Richtung zum Siege, so lag darin eine Gefahr für Preußen,
da eine polenfreundliche Politik Rußlands selbstverständlich zu
einer Annäherung des Zarenreichs an Frankreich geführt hätte,
das die national-polnischen Bestrebungen von jeher gefördert
hatte. Das Interesse der preußischen Politik, für deren deutsche
Bestrebungen die Haltung Rußlands eine Frage von hoher
Bedeutung war, forderte die Bekämpfung der polnischen
Sympathien am Hofe und im Cabinet des Zaren, und diesem
Zwecke diente die Alvenslebensche Convention. Sie war dem
Zaren ein Freundschaftsbeweis, dessen Werth er um so höher
anschlug, als die feindliche Haltung Frankreichs, Englands und
Oesterreichs und das Eintreten dieser Staaten zu Gunsten der
polnischen Rebellen ihn fast vor die Nothwendigkeit eines
Krieges gegen Europa stellte. In militairischer Hinsicht war
die Convention so gut wie wirkungslos — „ein Bedürfniß
dafür war an Ort und Stelle nicht vorhanden; die russischen
Truppen waren stark genug, und die Erfolge der Insurgenten
existirten zum großen Theil nur in den von Paris bestellten,
in Myslowitz fabrizirten, bald von der Grenze, bald vom
Kriegsschauplatze, bald aus Warschau datirten, zuweilen recht
märchenhaften Berichten, die zuerst in einem Berliner Blatte
erschienen und dann ihre Runde durch die europälsche Presse