— 172 —
1854 nach einem andern Schiboleth zu suchen. Allerdings ist die Aus-
27.5. hebung der 95000 Mann ) ein bedenkliches Symptom, indeß
der Boden, auf dem sie gewachsen, scheint mir der finanziellen
Leichtsinns zu sein. In Rußland scheint man die Oesterreichi-
schen Maaßnamen als sehr bedenklich zu betrachten. Die Zei-
tungs Nachrichten von dem Zurückgehen der Russen und ihrer
Aufstellung am Sereth, sowie von dem Rücktransport ihres
Kriegs-Materials über den Pruth werden durch Consular-Bericht
bestätigt. Dagegen werden immer mehr Truppen im südlichen
Polen an der Galizischen und Siebenbürgischen Grenze con-
centrirt. Ich halte es gar nicht für unmöglich und finde in
dem bisherigen Verlauf dieser unglücklichen Angelegenheit ähn-
liche Vorgänge, daß Rußland und Oesterreich bloß aus gegen-
seitigem Mißtrauen und Mißverständniß handgemein werden.
Wenn dann noch wir am Rhein engagirt werden sollten, so
würde das: Prügelst du meinen Juden u. s. w. in sehr un-
angenehmer Weise aufgeführt und den Franzosen ein weniger
schwieriges Kriegstheater sowie eine gute Gelegenheit zur Um-
gestaltung der Land-Carte von Europa geboten. Ohne uns
Oesterreich in die Arme zu werfen, müssen wir uns doch hüten,
ihm das Gefühl der Isolirung zu geben; nur wenn wir dieß
vermeiden, können wir auf seine Action einwirken. In Oester-
reich ist man auf die Darmstädter Conferenz) sehr aufgebracht;
dieß schadet nichts, aber man darf sich nicht dazu drängen einen
Theil des odü auf sich zu nehmen. Kaltes Blut und nicht
zu viel Handlungl scheint mir jetzt unser Programm sein zu
müssen. Glaubt man uns in Wien mit der Darmstädter Con-
ferenz identificirt, so verlieren wir unsern Einfluß, der schon im
Entstehen ein heilsamer gewesen. Ueberhaupt begreife ich die
Kurzsichtigkeit Vieler nicht, welche ewig auf Entschiedenheit hin-
*) Vgl. Handschreiben des Kaisers von Oesterreich an Minister
v. Bach vom 15. Mai 1854, Jasmund, Aktenstücke I, No. CCIXV S. 305f.
**) Der Mittelstaaten.