Bismarck's Sendung nach Wien. Einführungsschreiben. 97
zeitweilige Abwesenheit nöthig gemacht hat, das Verhältniß
unfrer Höfe aber eine subalterne Vertretung nicht zuläßt (meiner
Auffassung zufolge), so habe ich Herrn von Bismarck aus-
ersehen, die Vices für Graf Arnim während dessen Abwesen-
heit zu versehen. Es ist mir ein befriedigender Gedanke, daß
Ew. Majestät einen Mann kennen lernen, der bei uns im
Lande wegen seines ritterlich-freien Gehorsams und seiner Un-
versöhnlichkeit gegen die Revolution bis in ihre Wurzeln hinein
von Vielen verehrt, von Manchen gehaßt wird. Er ist mein
Freund und treuer Diener und kommt mit dem frischen leben-
digen sympathischen Eindruck meiner Grundsätze, meiner Hand-
lungsweise, meines Willens und ich setze hinzu meiner Liebe
zu Oestreich und zu Ew. Majestät nach Wien. Er kann, wenn
es der Mühe werth gefunden wird, Ew. Majestät und Ihren
höchsten Räthen über viele Gegenstände Rede und Antwort
geben, wie es wohl Wenige im Stande sind; denn wenn nicht
unerhörte, langvorbereitete Mißverständnisse zu tief eingewurzelt
sind, was Gott in Gnaden verhüte, kann die kurze Zeit seiner
Amtsführung in Wien wahrhaft segensreich werden. Herr
von Bismarck kommt aus Frankfurt, wo das, was die rhein-
bundschwangeren Mittelstaaten mit Entzücken die Differenzen
Oestreichs und Preußens nennen, jederzeit seinen stärksten
Wiederhall und oft seine Quelle gehabt hat, und er hat diese
Dinge und das Treiben daselbst mit scharfem und richtigem
Blick betrachtet. Ich habe ihm befohlen, jede darauf gerichtete
Frage Ew. Majestät und Ihrer Minister so zu beantworten,
als hätte ich sie selbst an ihn gerichtet. Sollte es Ew. Majestät
gefallen, von ihm Aufklärung über meine Auffassung und meine
Behandlung der Zollvereins-Angelegenheit zu verlangen, so
lebe ich der Gewißheit, daß mein Betragen in diesen Dingen,
wenn auch vielleicht nicht das Glück Ihres Beifalls, doch sicher
Ihre Achtung erringen wird. Die Anwesenheit des theuren
herrlichen Kaisers Nicolaus ist mir eine wahre Herzstärkung
Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. I.