Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Erster Band. (1)

244 Neuntes Kapitel: Reisen. Regentschaft. 
  
Ich ließ den Brief unbeantwortet und erhielt im Laufe des 
Tages, vor meiner Abfahrt zum Bahnhofe, im Hotel Royal, 
wo ich logirte, den Besuch des Herrn Levinstein. Nachdem er 
sich durch Vorzeigung eines eigenhändigen Einführungsschreibens 
des Grafen Buol legitimirt hatte, machte er mir den Vorschlag 
zur Betheiligung an einem Finanzgeschäft, welches mir „jährlich 
20000 Thaler mit Sicherheit abwerfen“ würde. Auf meine 
Erwiderung, daß ich keine Capitalien anzulegen hätte, erfolgte 
die Antwort, daß Geldeinschüsse zu dem Geschäft nicht erforder- 
lich seien, sondern daß meine Einlage darin bestehn würde, daß 
ich mit der preußischen auch die östreichische Politik am russischen 
Hofe befürwortete, weil die fraglichen Geschäfte nur gelingen 
könnten, wenn die Beziehungen zwischen Rußland und Oestreich 
günstig wären. Mir war daran gelegen, irgendwelches schrift- 
liche Zeugniß über dieses Anerbieten in die Hand zu bekommen, 
um dadurch dem Regenten den Beweis zu liefern, wie gerecht- 
fertigt mein Mißtraun gegen die Politik des Grafen Buol 
war. Ich hielt deshalb dem Levinstein vor, daß ich bei einem 
so bedenklichen Geschäft doch eine stärkre Sicherheit haben müßte, 
als seine mündliche Aeußerung, auf Grund der wenigen Zeilen 
von der Hand des Grafen Buol, die er an sich behalten habe. 
Er wollte sich nicht dazu verstehn, mir eine schriftliche Zusage 
zu beschaffen, erhöhte aber sein Anerbieten auf 30000 Thaler 
jährlich. Nachdem ich mich überzeugt hatte, daß ich schriftliches 
Beweis-Material nicht erlangen würde, ersuchte ich Levinstein, 
mich zu verlassen, und schickte mich zum Ausgehn an. Er folgte 
mir auf die Treppe unter beweglichen Redensarten über das 
Thema: „Sehn Sie sich vor, es ist nicht angenehm, die „Kaiser- 
liche Regirung“ zum Feinde zu haben.“ Erst als ich ihn auf 
die Steilheit der Treppe und auf meine körperliche Ueberlegen- 
heit aufmerksam machte, stieg er vor mir schnell die Treppe 
hinab und verließ mich. 
Dieser Unterhändler war mir persönlich bekannt geworden
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.