62 Drittes Kapitel: Erfurt, Olmütz, Dresden.
vor der Besorgniß, dasjenige Maß von Wohlwollen in natio-
naler und liberaler Richtung zu verlieren, auf dem die Hoff-
nung beruhte, daß Preußen ohne Krieg und in einer mit
legitimistischen Vorstellungen verträglichen Weise das Vorgewicht
in Deutschland zufallen würde.
Diese Hoffnung oder Erwartung, die bis in die „Neue
Aera“ hinein in Phrasen von dem deutschen Berufe Preußens
und von moralischen Eroberungen einen schüchternen Ausdruck
fand, beruhte auf dem doppelten Irrthum, der vom März 1848
bis zum Frühjahr des folgenden Jahres in Sanssouci wie in
der Paulskirche!)) bestimmend war: einer Unterschätzung der
Lebenskraft der deutschen Dynastien und ihrer Staaten, und
einer Ueberschätzung der Kräfte, die man unter dem Wort
Barrikade zusammenfassen kann, so daß darunter alle die Barri-
kade vorbereitenden Momente, Agitation und Drohung mit
dem Straßenkampfe, begriffen sind. Nicht in diesem selbst lag
die Gefahr des Umsturzes, sondern in der Furcht davor. Die
mehr oder weniger phäakischen Regirungen waren im März,
ehe sie den Degen gezogen hatten, geschlagen, theils durch die
Furcht vor dem Feinde, theils durch die innre Sympathie
ihrer Beamten mit demselben. Immerhin wäre es für den
König von Preußen an der Spitze der Fürsten leichter gewesen,
durch Ausnutzung des Sieges der Truppen in Berlin ein
deutsches Einheitsgebilde herzustellen, als es nachher der Pauls-
kirche geworden ist; ob die Eigenthümlichkeit des Königs nicht
eine solche Herstellung auch bei Festhalten dieses Sieges ge-
hindert oder das hergestellte, wie Bodelschwingh im März
fürchtete, wieder unsicher gemacht haben würde, ist allerdings
schwer zu beurtheilen. In den Stimmungen seiner letzten
Lebensjahre, wie sie auch aus den Aufzeichnungen Leopold's
v. Gerlach und aus andern Quellen ersichtlich find, steht die
1) D. h. der in der Frankfurter Paulskirche tagenden deutschen
Nationalversammlung.