Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Dritter Band. (3)

96 Achtes Kapitel: Meine Entlassung. 
  
es lag ihnen ob, in dem Staatsministerium und in dessen 
Beziehungen zum Monarchen diejenige Einheit und Stetigkeit 
zu erhalten, ohne welche eine ministerielle Verantwortlichkeit, 
wie sie das Wesen des Versassungslebens bildet, nicht durch- 
führbar ist. Das Verhältniß des Staatsministeriums und 
seiner einzelnen Mitglieder zu dieser neuen Institution des 
Ministerpräsidenten bedurfte sehr bald einer näheren, der Ver- 
fassung entsprechenden Regelung, wie sie im Einverständnisse 
mit dem damaligen Staatsministerium durch die Ordre vom 
8. September 1852 erfolgt ist. Diese Ordre ist seitdem ent- 
scheidend für die Stellung des Ministerpräsidenten zum Staats- 
ministerium geblieben, und sie allein gab dem Ministerpräsi- 
denten die Autorität, welche es ihm ermöglicht, dasjenige Maß 
von Verantwortlichkeit für die Gesammtpolitik des Cabinets zu 
übernehmen, welches im Landtage und in der öffentlichen Mei- 
nung ihm zugemuthet wird. Wenn jeder einzelne Minister 
Allerhöchste Anordnungen extrahiren kann, ohne vorgängige 
Verständigung mit seinen Collegen, so ist eine einheitliche 
Politik, für welche Jemand verantwortlich sein kann, im 
Cabinet nicht möglich. Keinem der Minister, und namentlich 
dem Ministerpräsidenten nicht, bleibt die Möglichkeit, für die 
Gesammtpolitik des Cabinets die verfassungsmäßige Verantwort- 
lichkeit zu tragen. In der absoluten Monarchie war eine Be- 
stimmung, wie die Ordre von 1852 sie enthält, entbehrlich und 
würde es auch heut sein, wenn wir zum Absolutismus, ohne 
ministerielle Verantwortlichkeit, zurückkehrten. Nach den zu 
Recht bestehenden verfassungsmäßigen Einrichtungen aber ist 
eine präsidiale Leitung des Minister-Collegiums auf der Basis 
des Princips der Ordre von 1852 unentbehrlich. Hierüber 
sind, wie in der gestrigen Staatsministerialsitzung sestgestellt 
wurde, meine sämmtlichen Collegen mit mir einverstanden und 
auch darüber, daß jeder meiner Nachfolger im Ministerpräsi- 
dium die Verantwortlichkeit für sein Amt nicht würde tragen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.