132 Zehntes Kapitel: Kaiser Wilhelm II.
gegenüber Statt fanden, welche der Orden nicht bezahlen
konnte. Die Neigung des Kaisers, antimonarchische und auch
antipreußische Kräfte wie die Polen in den Dienst der Krone
zu stellen, gibt Sr. Majestät momentan Mittel zum Druck auf
Parteien und Fractionen, welche principiell treu zu den mon-
archischen Traditionen halten. Die Drohung, daß er, wenn
ihm nicht unbedingt gehorcht werde, sich weiter nach links
wenden werde, daß er die Socialisten, die Krypto-Republikaner
der freisinnigen Partei, die ultramontanen Kräfte an das Ruder
bringen könne, kurz das „Acheronta movebo“, welches sich in
dem Nachlaufen hinter unversöhnlichen Gegnern kennzeichnet,
schüchtert die hergebrachten Stützen der monarchischen Gewalt
ein. Sie fürchten, „es könnte noch schlimmer werden“, und der
Kaiser ist ihnen gegenüber heut in der Lage eines Schiffscapi-
täns, dessen Leitung bei der Mannschaft Besorgniß erregt, der
aber mit brennender Cigarre über der Pulvertonne sitzt.
Auch dem Auslande, dem befreundeten, dem feindseligen,
dem zweifelhaften gegenüber sind die Liebenswürdigkeiten weiter
gegangen, als mit der Vorstellung verträglich, daß wir uns
vermöge eigner Schwerkraft sicher fühlten. Es gab eben nie-
manden, weder in dem Auswärtigen Amte noch am Hofe, der
mit der internationalen Psychologie hinreichend vertraut war,
um die Wirkungen des diesseitigen Verfahrens in der Politik
richtig zu berechnen; weder der Kaiser noch Caprivi noch
Marschall waren durch ihr Vorleben dazu vorbereitet, und das
politische Ehrgefühl der Rathgeber der Krone war befriedigt
durch des Kaisers Unterschrift, unabhängig vom Erfolge für
das Reich.
Die Versuche, die Liebe der Franzosen zu gewinnen (Meis-
sonnier), in deren Hintergrunde der Gedanke eines Besuchs in
Paris schlummern mochte, die Bereitwilligkeit, die Grenzmauer
der Vogesen wieder gangbar zu machen, haben kein anderes
Ergebniß gehabt, als daß die Franzosen dreister und der Statt-