Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Dritter Band. (3)

136 Zehntes Kapitel: Kaiser Wilhelm II. 
  
Die Argumente, mit denen auf den Prinzen Wilhelm ge- 
wirkt worden war, lassen sich in einem Schreiben erkennen, 
welches er, inzwischen Kronprinz geworden, am 10. Mai 1888 
an mich richtete und dessen Inhalt ich dem steigenden Einflusse 
des Grasen Waldersee zuschreibe, der den Moment für günstig 
hielt, Krieg zu führen und für den Generalstab verstärkten Ein- 
fluß auf die Reichspolitik zu beanspruchen. 
„Berlin, 10. Mai 1888. 
Ew. Durchlaucht 
Schreiben vom 9. cr. habe ich mit hohem Interesse gelesen; 
aus dem Inhalte desselben glaube ich aber entnehmen zu 
müssen, daß Ew. Durchlaucht meinen Randbemerkungen zu dem 
Wiener Bericht vom 28. April eine übertriebene Bedeutung 
beilegen und dadurch zu der Auffassung gelangt sind, ich sei 
zu einem Gegner der bisherigen friedlichen und abwartenden 
Politik geworden, welche Ew. Durchlaucht mit so viel Weis- 
heit und Vorsicht geleitet haben und hoffentlich zum Segen des 
Vaterlandes noch recht lange leiten werden. Für diese Politik 
bin ich wiederholt eingetreten — Petersburg, Brest-Litowok — 
und habe ich mich in allen entscheidenden Fragen stets, wie 
bekannt, auf die Seite Ew. Durchlaucht gestellt. Welches Er- 
eigniß sollte eingetreten sein, um mich plötzlich anderen Sinnes 
zu machen? Die von mir gemachten Randbemerkungen, in 
welchen Ew. Durchlaucht eine Aufforderung meinerseits zu 
einer Modification unfrer bisherigen Politik zu erkennen meinen, 
bezweckten lediglich den Hinweis, daß über die Nothwendigkeit 
oder Nützlichkeit des Krieges die politischen und militärischen 
Ansichten — die ich dadurch zu Ihrer Kennmiß zu bringen 
beabsichtigte — auseinander gegangen seien; und daß die letzte- 
ren für sich betrachtet nicht ohne Berechtigung wären. Ich 
glaubte, ein solcher Hinweis würde für Ew. Durchlaucht nicht 
ohne Interesse sein, aber nie zu dem Glauben führen können, 
ich wollte die Politik den militärischen Wünschen unterordnen.
	        
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