Full text: Gedanken und Erinnerungen. Neue Ausgabe. Dritter Band. (3)

138 Zehntes Kapitel: Kaiser Wilhelm II. 
  
Je mehr die Republik nun erstarkte, desto größere Neigung 
zeigte Rußland — trotz loyalster Haltung und Absichten des 
Zaren — ohne von Deutschland im geringsten geschädigt worden 
zu sein, nur den günstigsten Augenblick zu erfassen, um im 
Bunde mit der Republik über uns herzufallen'). Diese 
drohende Lage entstand und besteht, nicht nach einem gegen 
Rußland freiwillig von uns geführten Kriege, sondern durch 
die gemeinschaftlichen Interessen der Panslavisten und des 
republikanischen Frankreichs, Deutschland als Hort der Mon- 
archie niederzuwerfen. 
Zu diesem Zweck verstärkten beide Nationen ihre Kampfes- 
mittel systematisch an den entscheidenden Grenzen, ohne für 
dieses unqualificirbare Vorgehn unsererseits irgendwie provo- 
cirt zu sein, noch irgend eine haltbare Entschuldigung dafür 
vorzubringen. 
Mit aus diesem Grunde brachte die durch Ew. Durchlaucht 
geleitete weise Politik meines hochseligen Herrn Großoaters 
Bündnisse zu Stande, welche sehr dazu beigetragen haben, uns 
vor Ueberfällen unseres geborenen Erbfeindes im Westen zu 
bewahren. Auch verstand diese Politik, Rußlands Herrscher zu 
unseren Gunsten einzunehmen"). Dieser Einfluß wird so lange 
sortbestehn, als der jetzige Zar die Macht, seinen Willen geltend 
zu machen, wirklich besitzt; geht sie verloren — und es sind 
viele Anzeichen dafür vorhanden') — so ist es sehr wahrschein- 
lich, daß Rußland sich von unserem geborenen Feind nicht 
länger wird trennen lassen, um mit ihm den Krieg zu führen, 
wenn die beiderseitigen Kampfesmittel ihnen entwickelt genug 
erscheinen, um uns ungestraft zu vernichten. 
Unter solchen Umständen wächst der Werth unserer Bundes- 
genossen; dieselben an uns zu fesseln ), ohne ihnen einen ein- 
gehenden Einfluß auf das Reich einzuräumen, wird die große, 
ich gebe zu, schwere') Aufgabe einer vorsichtigen deutschen 
Politik sein und bleiben müssen. Es ist aber zu beachten, daß
	        
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