142 Zehntes Kapitel: Kaiser Wilhelm II.
geschrieben schienen, um den Glauben zu erwecken, daß ein
Zwiespalt zwischen Sr. Majestät und dem Reichskanzler be-
treffs des Grafen Waldersee bestände, das heißt daß auch jetzt
Frictionen in den maßgebenden Regirungskreisen existirten
beziehungsweise im Anzuge wären, wie sie zur Regirungszeit
Kaiser Friedrich's wiederholt öffentlich besprochen worden seien;
Se. Majestät befürchte, daß die auswärtige Presse jene Artikel
commentiren werde, und wünsche deshalb, daß die Regirungs-
presse unter Richiigstellung der Sachlage gegen die bezeichneten
Preßangriffe Stellung nehme. Der Kaiser stehe nach wie vor
auf demselben Standpunkt, den er im Monat Mai entwickelt
habe: daß er nie dem Grafen Waldersee, trotz seiner Werth-
schätzung für ihn, einen unberechtigten Einfluß auf die aus-
wärtige Politik einräumen und daß unter seiner Regirung
keine Hoscamarilla existiren werde; vielmehr sei er überzeugt,
daß unter den Leuten, denen er sein Vertrauen geschenkt habe
und die ihm dienten, keine Parteiungen existirten, sondern daß
Alle ihm auf dem Wege folgten, der zu dem von ihm als
richtig erkannten Ziele führe ½.
Vom 19. bis zum 24. Juli war der Kaiser zum Besuch in
Peterhof. Die Emdrücke, welche er dort hinterlassen hat, sind
vollständig erst später zu meiner Kenntniß gelangt und Seite 84
erwähnt. Daß er selbst eine Verstimmung in die Politik
übertrug, wurde erst im Juni des folgenden Jahres, während
ich in Varzin war, in zwei Vorgängen wahrnehmbar.
Der Graf Philipp Eulenburg, Gesandter in Oldenburg,
wegen gesellschaftlicher Talente bei Sr. Majestät in besonderer
Gnade stehend und häufig nach Hofe berufen, vertraute mei-
nem Sohne, der Kaiser halte meine Politik für zu „russen-
freundlich"“; ob mein Sohn oder ich selbst nicht versuchen
wollten, durch Entgegenkommen und erläuternde Darlegung
) S. Anlage III, unten S. 171.