Möglichkeiten, den Kaiser zu belehren. 65
Thatsachen ausgehen, die für Entstellung keinen Anhalt geben,
zum Beispiel von auswärtigen Angriffen oder Bedrohungen,
oder von Attentaten wie das Nobiling'sche. Für eine Kund-
gebung wie die beabsichtigte fürchtete ich nicht gerade die un-
mittelbare und directe Kritik, wenn sie sachlich richtig verstanden
wurde, wohl aber die geschickte Ausnutzung durch die staats-
feindlichen Agitatoren. Ich war deshalb nicht ohne Sorge
in Betreff der Wirkung der vom Kaiser gewollten Erlasse,
legte aber mehr Gewicht auf die persönliche Belehrung des
Kaisers. In der Ueberzeugung, die mich seit 40 Jahren in der
preußischen und deutschen Politik geleitet hat, sah ich meine
Aufgabe mehr darin, den Kaiser vor Eindrücken und Schritten
zu bewahren, welche zu einer rückläufigen Bewegung der von
mir seit 1862 mit Erfolg betriebenen Stärkung der Königlichen
Gewalt und Befestigung des Reiches führen mußten, als darin,
augenblickliche Wahlergebnisse zu gewinnen.
Volksvertretungen hatte ich seit 40 Jahren viele kommen
und gehen sehn und hielt sie für weniger schädlich für unfre
Gesammtentwicklung, als monarchische Irrthümer es werden
konnten, wie sic nicht vorgekommen waren, seit im Jahre 1858
der Prinz Regent die Wege der Neuen Aera eingeschlagen
hatte. Auch damals war es das ehrliche Bedürfniß des Re-
girenden, seinen Unterthanen Wohlthaten zu erweisen, welche
man ihnen seiner Meinung nach lediglich aus mißverständlichem
Eifer und ungerechter Herrschsucht vorenthalten hatte. Auch
damals lag der Fall vor, daß eine Coterie von ehrgeizigen
Strebern, die in der Acra Manteuffel nichts erreicht hatten,
die Partei Bethmann-Hollweg, sich an den Thronerben gemacht
und bei demselben das Mißverhältniß zwischen edlen Inten-
tionen und mangelhafter Kenntniß des praktischen Lebens aus-
gebeutet hatte, um ihn gegen die Regirung seines Bruders zu
verstimmen und ihm Opposition gegen dieselbe als Vertretung
der Menschenrechte erscheinen zu lassen.
Otto Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen. III. 5