Full text: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Erster Band (A-K). (1)

Archive — Armenangelegenheiten und Armenwesen. 
(GS. 1900, 9), durch welche den Vorstehern der 
Staatsarchive in den Provinzen mit Aus- 
nahme von Osnabrück, Aurich, Wetzlar und 
Sigmaringen der Amtstitel „Archivdirektor“ 
beigelegt worden ist (s. im übrigen Dienstanw. 
für die A. in den Provinzen vom 21. Jan. 1904 
(MBl. 34) und Staatsarchiv. 
Archive sind Einrichtungen zur Sammlung, 
Sichtung und sicheren Aufbewahrung von Ur- 
kunden, Handschriften, Akten usw., welche für 
die Geschichte, die Besitz= und Rechtsverhält- 
nisse des Staates und seiner einzelnen Teile, 
der verschiedenen Korporationen und der Ge- 
schlechter von Bedeutung sind. Je nach der 
Stelle, für welche das A. bestimmt ist und 
welche dasselbe unterhält, werden die A. in 
Staatsarchive K. d.), Hausarchive (s. d.), Ge- 
meindearchive, Kirchenarchive usw. unterschieden. 
Mit Rücksicht auf den hohen Wert, welchen 
die A. nicht nur für die Festlegung und Fest- 
stellung von Rechtsverhältnissen, sondern vor 
allem auch für die Geschichtswissenschaft be- 
sitzen, sind dieselben, soweit es sich um A. öffent- 
licher Korporationen handelt, unter besonderen 
geletzlichen Schutz gestellt. S. dieserhalb für 
die A. der Stadt= und Landgemeinden 88 16, 
31 ZG. und analog für die Kirchengemeinden 
§8 21 Ziff. 2, 50 Ziff. 2 des G. vom 20. Jan. 
1875 (G S. 241) und Art. 24 Ziff. 2 des G. vom 
3. Juni 1876 (G. 125). 
Armee ist die traditionelle Bezeichnung in 
Preußen für das Heer. S. Heeresorgani- 
sation. 
Armeebefehle sind Anordnungen und Ver- 
fügungen des Kaisers und Königs in bezug 
auf den inneren Dienstbetrieb des Heeres im 
weitesten Sinne; den Gegensatz hierzu bilden 
die sog. Armeeverordnungen, d. h. solche 
Anordnungen, welche sich auf die Verw altung 
der Heereseinrichtungen beziehen. Letztere be- 
dürfen, da sie sich als Regierungsatte charak- 
terisieren, der Gegenzeichnung des KrM., bei 
den analogen Verhältnissen der Marine der- 
jenigen des Reichskanzlers oder seines Stell- 
vertreters; erstere dagegen sind ein Ausfluß 
des dem Kaiser und Könige zustehenden Ober- 
befehls über das Heer und die Marine (V1. 
Art. 46; BV. Art. 63 u. 53), der sog. Kom- 
mandogewalt, und haben infolgedessen nicht 
die Eigenschaft von Regierungsakten. In 
diesem Sinne bestimmt die Abrder vom 
18. Jan. 1861 (MBl. 73), daß A. und die- 
jenigen Orders, welche der König in Militär- 
dienstsachen oder Personalangelegenheiten er- 
läßt, nicht gegenzuzeichnen sind, und soweit 
dieselben gleichzeitig Bestimmungen enthalten, 
welche auf den Militäretat von Einfluß sind 
oder andere Zweige der Verwaltung berühren, 
die Gegenzeichnung zwar beigefügt, die Publi- 
Ration aber ohne solche erfolgen soll (s. auch 
G. vom 1. Dez. 1899 — OW. 36, 79). 
Armeebischof s. Militärkir enwesen. 
A rmenangelegenheiten und Armenwesen. 
dum im rechtlichen Sinne ist derjenige, der 
8 e zum notdürftigen Lebensunterhalt erforder- 
Gen Mittel weder besitzt, noch sie bei seinem 
rperlichen und geistigen Zustande durch seine 
tigkeit erwerben kann, noch sie von anderen 
ersonen erhält. Den Untergang der Armen 
  
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durch Gewährung von Hilfe zu verhüten, ist 
von alters her als eine menschliche Pflicht er- 
achtet worden, an deren Erfüllung sich außer 
den einzelnen Personen auch Staat und Kirche 
mit ihren Organen beteiligt haben. Das Alter- 
tum und das Mittelalter kannten keine plan- 
mäßige, geregelte Armenpflege sondern, von 
wenigen Ausnahmen abgesehen, nur gelegent- 
liche Wohltätigkeit durch Almosengeben, Unter- 
stützung von Witwen und Waisen oder Kranken- 
pflege. 
Eine staatliche Ordnung der Armenpflege 
erfolgte zuerst in England durch ein Gesetz 
der Königin Elisabeth im Jahre 1601, das 
Arbeitsnachweis und Arbeitszwang für die 
arbeitsfähigen und Unterhaltsgewährung an 
die arbeitsunfähigen Armen unter Erhebung 
einer Armensteuer anordnete. Die Armenlast 
ruhte auf den Kirchspielen. Durch ein Gesetz 
Karls II. vom Jahre 1662 wurde sie von dem 
Heimatsrecht des Armen abhängig gemacht, 
das durch Geburt, Gründung eines eigenen 
Haushalts oder Aufenthalt erworben wurde. 
Auf Grund eines Gesetzes vom Jahre 1723 er- 
folgte die Einrichtung von Arbeitshäusern 
(Workhouses) zur Beschäftigung arbeitsfähiger 
Armen. Eleichzeitig und demnächst in erweiter- 
⅝tem Umfange durch ein Gesetz vom Jahre 
1782 wurde die Vereinigung mehrerer KRirch- 
spiele zu gemeinsamer Verwaltung des Armen- 
wesens zugelassen. Letzteres Gesetz ordnete 
diese Verwaltung durch Einführung besonderer 
Armenbeamter (Guardians) neben den mit der 
Veranlagung und Einziehung der Armensteuer 
Beauftragten (Overseers) und Einsetzung von 
Aufsichtsbeamten (Visitors). Am Ende des 
18. Jahrh. wurde ein System von Zuschüssen 
(Allowance) zum selbsterworbenen Arbeitslohn 
eingeführt, wodurch jedem Arbeiter ein nach 
der Höhe der Lebensmittelpreise und der Größe 
seiner Familie bemessenes Mindestmaß für den 
Unterhalt gesichert werden sollte. Ein Gesetz 
vom Jahre 1834 führte eine völlige Aeuordnung 
des Armenwesens herbei mittels Einführung 
einer Zentralbehörde aus staatlich ernannten 
Beamten (Poor Law Commissioners), Lokal- 
behörden aus gewählten unbesoldeten Ehren- 
beamten (Boards of Guardians) und ausführen- 
den besoldeten Beamten (Relieving Officiers) 
sowie mittels Vereinigung mehrerer Kirchspiele 
zu größeren Armenverbänden, die dann durch 
Gesetz vom Jahre 1865 an Stelle der Kirch- 
spiele zum Träger der Armenlast gemacht 
wurden. Durch ein Gesetz vom Jahre 1879 
wurde der Zentralbehörde die Befugnis gegeben, 
mehrere Armenverbände behufs Erfüllung 
einzelner Zwecke des Armenwesens 6. B. Er- 
richtung von Armenschulen, Asylen für Ob- 
dachlose) zu größeren Verbänden zu vereinigen. 
Mittel zur Armenpflege werden durch die 
Armensteuer (Poor Rate) und Zuschüsse aus 
Grasschaftsfonds beschafft. — 
In Frankreich wurde die Armenpflege 
hauptsächlich als freiwillige Liebestätigkeit auf 
religiösem Gebiete mittels Aufnahme der Hilfs- 
bedürftigen in Anstalten (hospices und höpitauz) 
ausgeübt und mit besonderer Sorgfalt den 
Findelkindern gewährt. Eine weltliche Armen- 
pflege führte zuerst die Gesetzgebung der Revo-
	        
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