Full text: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Erster Band (A-K). (1)

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lutionszeit durch Einrichtung von Organen für 
die Unterstützung mittels öffentlicher Mittel 
(bureaux de bienfaisance) und Gewährung 
von Zuschüssen aus Staatsfonds ein. Durch 
G. vom 30. Juni 1838 wurden die Kosten der 
Irrenpflege und durch G. vom 5. Mai 1869 
die der Fürsorge für verlassene Kinder und 
Waisen den Departements auferlegt, die auch 
bei der Ausübung der offenen Krankenpflege 
beteiligt wurden. Im wesentlichen ist die Ge- 
meindearmenpflege eine freiwillige, nicht auf 
Zwangsbeiträgen beruhende, geblieben, wenn 
auch die Gemeinden durch G. vom 15. Juli 
1893 zur unentgeltlichen Krankenpflege armer 
Personen (l’assistance médicale gratuite) ver- 
pflichtet worden sind. Gegenwärtig wird die 
fakultative Armenpflege, soweit sie eine ge- 
schlossene ist, von den Spitälern (höpitaux für 
Krankenpflege, hospices für Greise, Sieche 
und Kinder) ausgeübt, die sich als von der 
Gemeinde unabhängige, durch Kommissionen 
verwaltete öffentliche Anstalten mit eigenen 
Vermögen und Einkünften darstellen, soweit 
es sich aber um offene Armenpflege handelt, 
von den Wohltätigkeitsbureaus (bureaux de 
bienfaisance), die freiwillige Einrichtungen 
der Gemeinden sind und von diesen unter- 
halten werden. In vielen Gemeinden, denen 
hierzu die Mittel fehlen, bestehen zu gleichen 
Zwecken nicht öffentliche Anstalten (bureaur 
e charité). Eine öffentliche Armenpflege 
liegt den Gemeindekrankenanstalten (bureaux 
d’assistance) ob und ferner den Departements 
auf dem Gebiete der Fürsorge für hilflose 
Rinder (enfants trouvés, abandonnés, orphe- 
lins pauvres), für Irrsinnige und für mittel- 
lose Wanderer, denen die Mittel zur Heimreise 
gewährt werden. Der Staat beteiligt sich bei 
der Armenpflege durch Unterhaltung gewisser 
eigener Anstalten, durch unmittelbare Gewäh- 
rung von Unterstützungen bei Unglücksfällen 
und durch Gewährung von Zuschüssen an die 
Departements, Gemeinden und Wohltätigkeits- 
einrichtungen. — 
In Deutschland wurde die Armenpflege 
in älterer Zat entweder aus religiösen Rück- 
sichten zur Förderung des eigenen Seelenheils 
oder aus Gründen der Aächstenliebe geübt. 
Eine Armenpflege durch die bürgerlichen Ge- 
meinden entwickelte sich in Verbindung mit 
der Armenpolizei vom 16. Jahrh. ab zunächst 
in den Städten, wo sie mittels Armenord- 
nungen (zuerst in Augsburg und Nürnberg 
im Jahre 1522) geregelt wurde. Ihr trat auf 
dem platten Lande die Fürsorge der GEuts- 
herrschaften für ihre hilfsbedürftigen Guts- 
untertanen zur Seite. Auch die Reichspolizei- 
ordnungen der Jahre 1530, 1548 und 1577 be- 
handelten die Fürsorge für die Armen als eine 
ommunallast der Gemeinden. Diese erschwerten 
infolgedessen den Zuzug von Fremden, indem 
sie die A#ederlassung, den Erwerb der Ge- 
meindeangehörigkeit und die Eheschließung 
von der Zustimmung der Gemeindebehörden 
abhängig machten. Zur Unterstützung war 
diesenige Gemeinde verpflichtet, in welcher der 
Arme das Heimatsrecht besaß, das durch Ab- 
stammung, Aufnahme in den Gemeindeverband 
oder durch Aufenthalt während einer Reihe 
  
Armenanstalten. 
von bestimmten Jahren erworben wurde. Die 
alte Heimatsgemeinde konnte zur Aufnahme 
des Hilfsbedürftigen so lange angehalten 
werden, als dieser kein neues Heimatsrecht 
an einem andern Orte erworben hatte. 
In Preußen fand die den Gemeinden und 
Gutsbezirken als Ortsarmenverbänden ob- 
liegende Verpflichtung zur Armenpflege zuerst 
durch das G. vom 31. Dez. 1842 eine um- 
fassende Regelung. Der Erwerb des Unter- 
stützungswohnsitzes in einer Gemeinde wurde 
an einen einjährigen Aufenthalt in der Ge- 
meinde nach polizeilicher Anmeldung oder an 
einen dreijährigen ohne eine solche Anmeldung, 
sein Verlust an eine dreijährige Abwesenheit 
geknüpft. Den Landarmenverbänden (Pro- 
vinzen oder Kreisen) fiel die Unterhaltung von 
Arbeits= und Korrektionshäusern, Kranken- 
und Blindenanstalten zu. Auch hatten sie die 
Verpflichtung, leistungsunfähigen Ortsarmen- 
verbänden Beihilfen zu gewähren. An die 
Stelle dieser Regelung trat dann die durch 
das UWo. vom 6. Juni 1870, das mit einigen 
späteren Abänderungen noch jetzt in Kraft steht 
(s Armengesetzgebung). Die Formen der von 
den Armenverbänden zu gewährenden Unter- 
stützung fanden im Laufe der Zeit eine weitere 
Ausbildung (s. Armenpflege). Die Tätigkeit 
des Staats beschränkt sich auf die Erzwingung 
der notwendigen Armenpflege (s. Armen- 
polizei) und die Entscheidung von Streitig- 
keiten über Art und Maß der erforderlichen 
Unterstützung oder über die Erstattung der 
aufgewendeten Armenpflegekosten und die 
ÜUbernahme eines dauernd Hilfsbedürftigen 
([s. Armenstreitsachen, Erstattungsan- 
sprüche der Armenverbände, ber- 
nahme). Aeben der öffentlichen Armenpflege 
findet auch in Deutschland in großem Umfange 
die Ausübung privater Wohltätigkeit den 
Armen gegenüber statt, namentlich in den ev. 
Vereinen für innere Mission, in dem kath. 
Charitasverband und in dem vaterländischen 
Frauenverein. 
Armenanstalten und Armenhäuser sind 
Einrichtungen, die der geschlossenen Armen= 
pflege (s. d.) dienen und entweder auf Stif- 
tungen beruhen oder von den Armenverbänden 
hergestellt werden. Ihre Rechtsverhältnisse 
sind im ersteren Falle durch ALK. II, 19 8§5 32 
bis 49, 76—89 geregelt, das ihnen zustehende 
Erbrecht an den Nachlaß der ausgenommenen 
Personen durch §§ 50—75 das. (ogl. ESB. 
Art. 139). Die Armenhäuser der Ortsarmen- 
verbände gewähren entweder nur Wohnung 
oder auch Verpflegung. Von den A. der Land- 
armenverbände sind einzelne mit Besserungs- 
anstalten verbunden, andere bestehen selbständig. 
Besonderen Zwechen dienen Waisenhäuser, 
Besserungsanstalten, Krankenan- 
stalten, Entbindungsanstalten, Irren- 
anstalten, Blindenanstalten, Taub-= 
stummenanstalten, Anstalten für Epilep- 
tische, Aitenanntalten. Kleinkinder- 
bewahranstalten (s. die betr. Artikel). Eine 
besondere rechtliche Stellung nimmt die kgl. 
Charité (s. d.) in Berlin ein. Erbanfälle an 
öffentliche A. sind in gleicher Weise wie Arbeits- 
häuser (s. d.) von der Erbschafts= und der 
 
	        
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