Full text: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Erster Band (A-K). (1)

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saß-Lothringen einerseits und den übrigen 
deutschen Staaten andererseits richtet sich nach 
den Bestimmungen des Freizüg G. vom 1. A#v. 
1867 (BGBl. 55) § 7, des Gothaer Ver- 
trages vom 15. Juli 1851 (s. d.) und der 
auch zwischen OÖsterreich und den deutschen 
Staaten noch in Kraft stehenden Eisenacher 
Konvention vom 11. Juli 1853 (s. d.), da- 
gegen zwischen dem Deutschen Reiche einerseits 
und Frankreich, Italien, Belgien, Dänemark, 
Rußland und der Schweiz andererseits nach 
besonderen Staatsverträgen. Zwischen Preußen 
und Elsaß-Lothringen ist zur Regelung der 
armenrechtlichen Beziehungen ein Uberein- 
kommen vom 18. Nov. 1899 (MBl. 1900, 78) 
getroffen worden, wonach bei Personen, die 
nach zurüchgelegtem 18. Lebensjahre während 
mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen 
Aufenthalt in dem betreffenden Lande gehabt 
haben, und bei den Familienangehörigen von 
dem staatlichen Ausweisungsrechte, soweit sich 
dieses auf die Vorschriften des Freizüg G. (s. d.) 
gründet, beiderseits nicht mehr Gebrauch ge- 
macht werden soll. 
Armenkassen s. Armenvermögen. 
Armenpflege. I. (Arten der A.) Die A. 
ist die Sorge für den Lebensunterhalt armer 
Personen (s. Armenangelegenheiten). Sie 
ist entweder eine private, Rirchliche oder 
öffentliche und, je nachdem sie bestimmt ist, 
den Eintritt der Hilfsbedürftigkeit zu verhüten 
oder ihn zu beseitigen, vorbeugende oder 
helfende A.- Unter öffentlicher A. wird 
die Fürsorge für Arme verstanden, die auf 
Grund einer gesetzlichen Verpflichtung aus 
öffentlichen Mitteln durch die hierzu gesetzlich 
berufenen Armenverbände (s. d.) erfolgt. Sie 
wird durch die Organe des Kommunalver= 
bandes verwaltet, von dem die Verpflichtungen 
des Armenverbandes zu erfüllen sind. 
Die Fürsorge ist je nach der Dauer der Hilfs- 
bedürftigkeit eine dauernde oder eine vor- 
übergehende und je nach der Erwerbsfähig- 
keit des Hilfsbedürftigen eine allgemeine 
oder ergänzende. Die Unterstützung kann 
in Geld oder Naturalverpflegung bestehen 
und entweder unter Belassung des Armen in 
seiner Wohnung oder durch Unterbringung in 
einer Anstalt gewährt werden (offene oder 
geschlossene A.). Die Naturalverpflegung 
erfolgt entweder durch Hingabe von Lebens- 
mitteln, Kleidern und Heizstoffen oder durch 
Zuweisung an eine Familie, die den Unterhalt 
gewähren hat, oder an eine Reihe von 
amilien, die dies abwechselnd zu tun haben. 
Diese letztere Art der Verpflegung im Reihen- 
uge ist noch hier und da in kleinen Land- 
Zemeinden üblich. 
Die Hilfeleistung in Krankheitsfällen kann 
sowohl in Anstalten als auch im Wege der 
offenen A. durch einen zu diesem Zwecke von 
dem Armenverbande angestellten Armenarzt 
und unentgeltliche Gewährung der von ihm 
verordneten Heilmittel erfolgen. Die Bedürf- 
nisse des Armen, für deren Befriedigung die 
öffentliche A. zu sorgen hat, sind durch die 
Landesgesetzgebung festgestellt (s. Armen- 
unterstützung). Die A. wird als außer- 
ordentliche bezeichnet, soweit sie von den 
  
Armenkassen — Armenpflege. 
Landarmenverbänden in den ihnen gehörigen 
Anstalten in Fällen zu gewähren ist, in denen 
der körperliche oder geistige Zustand des Hilfs- 
bedürftigen die Anstaltspflege erforderlich macht 
(s. Landarmenverbände). 
Die A. durch Gewährung von Geldunter- 
stützungen ist die häufigste. Um für die Be- 
messung der während eines bestimmten Zeit- 
raumes erforderlichen Unterstützung einen An- 
halt zu haben, sind in größeren Städten 
bisweilen von der Armenbehörde bestimmte 
Geldbeträge festgesetzt worden, die je nach der 
Größe der Familie zur Beschaffung des vollen 
notdürftigen Unterhalts als erforderlich oder 
ausreichend erachtet werden. Sie gelten als 
Ausschlußsätze, bei deren Erreichung durch 
den eigenen Erwerb der Familie in der Regel 
keine armenrechtliche Hilfsbedürftigkeit amer- 
kannt wird. 
Die Naturalverpflegung empfiehlt sich 
hauptsächlich dann, wenn die Besorgnis be- 
gründet ist, daß der Hilfsbedürftige eine Geld- 
unterstützung unwirtschaftlich, zu schnell oder 
für nicht bestimmungsgemäße Zweckhe, besonders 
zur Beschaffung von Spirituosen, verwenden 
werde. Sie hat andererseits den Aachteil, daß 
sie den Unterstützten einer eigenen Wirtschafts- 
führung entwöhnt und ihm die Rückkehr zur 
wirtschaftlichen Selbständigkeit erschwert. Eine 
Zwischenform zwischen Geld= und Natural- 
unterstützung ist die Bezahlung des Wohnungs- 
mietzinses für die von dem Hilfsbedürftigen 
selbst gemietete Wohnung an den Vermieter. 
Sie ist bei einer ergänzenden A. zwechmäßig, 
um Oddachlosigkeit mit ihren die Erwerbs- 
tätigkeit in hohem Grade beeinträchtigenden 
Folgen zu verhüten. 
Die geschlossene A. ist hauptsächlich für 
arbeitsscheue, dem Trunk ergebene, liederliche 
Personen erforderlich, besonders wenn mit ihr 
ein Arbeitszwang verbunden ist. Außerdem 
kann sie zwechmäßig sein gegenüber Personen, 
bei denen es zweifelhaft ist, ob sie nicht bei 
gutem Willen imstande sind, sich selbst zu 
unterhalten (das engl. Arbeitshausprinzip), 
ferner für einzelstehende Witwen oder Waisen 
in Armenhäusern, Hospitälern oder Waisen- 
häusern, namentlich aber für Kranke oder 
Sieche in Kranken= oder Siechenhäusern und 
für Wöchnerinnen in Entbindungsanstalten. 
II. (Elberfelder System.) Eine besondere 
Ausbildung, die von einer großen Anzahl von 
Städten als Muster benutzt worden ist, hat 
nach ähnlichen Vorgängen in Hamburg und 
Göttingen die offene A. zu Elberfeld durch 
die dortige Armenordnung vom Jahre 1852 
gefunden. Das „Elberfelder System“ beruht 
auf einer eingehenden Prüfung und beson- 
deren Behandlung jedes einzelnen Pflege- 
falles durch ehrenamtliche, in der Armen- 
verwaltung nicht nur helfend und beratend, 
sondern mit beschließender Stimme mit- 
wirkender Armenpfleger. Zu diesem Zwech 
ist der ganze Stadtbezirk derart in Quartiere 
geteilt, daß jedes von ihnen nur 2—4 unter- 
stützungsbedürftige Einzelpersonen oder Fami- 
lien enthält und von einem Armenpfleger be- 
aufsichtigt wird, der mindestens in jeder zweiten 
Woche jene aufzusuchen, ihre Erwerbsverhält-
	        
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