Full text: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Erster Band (A-K). (1)

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prozeß in den 88 355—494 3PO. und für 
den Strafprozeß in den §8§ 48—93, 243 bis 
260 St PO. getroffen. Für das Verfahren in 
den Angelegenheiten der freiwilligen Ge- 
richtsbarkeit legt § 12 FG#. dem Gericht 
auf, von Amts wegen die zur Feststellung der 
Tatsachen erforderlichen Ermittlungen zu ver- 
anstalten und die geeignet erscheinenden Be- 
weise zu erheben, und ordnen der § 15 FGG. 
und der Art. 1 Pr#?G. die entsprechende 
Anwendung der Vorschriften der 3PO. über 
den Zeugenbeweis, über den Beweis durch 
Sachverständige und über das Verfahren 
bei Abnahme von Eiden an, jedoch mit der 
wichtigen Abweichung, daß die Beeidigung 
eines Zeugen oder Sachverständigen nicht 
zwingend vorgeschrieben, sondern dem Ermessen 
des Gerichts überlassen ist, soweit nicht ge- 
wisse Personen überhaupt nur unbeeidigt zu 
vernehmen sind. 
Während es für das gewöhnliche Ver- 
waltungsverfahren an allgemeinen Regeln 
ganz fehlt, enthält das LV0. solche sowohl für 
das Verwaltungsstreitverfahren als für 
das Beschlußverfahren, und zwar je gleich- 
mäßig für alle Instanzen. In dem ersteren sind 
danach (§8 66, 76—78) die als Beweismittel 
in Bezug genommenen Urkunden den Schrift- 
stüchken im Original oder Abschrift beizufügen 
und davon Doppel einzureichen, wenn nicht das 
Gericht, d. i. regelmäßig der Vorsitzende, ge- 
gebenenfalls im Einverständnisse mit dem be- 
stellten Referenten, gestattet, daß statt der 
Einreichung von Doppeln die Urkunden selbst 
zur Einsicht der Beteiligten im Geschäftslokal 
des Gerichts offengelegt werden. Das Gericht 
ist befugt, geeigneten Falles schon vor An- 
beraumung der mündlichen Verhandlung 
Untersuchungen an Ort und Stelle, also 
namentlich eine Einnahme des Augenscheins, 
zu veranlassen, Zeugen und Sachverständige 
zu laden und eidlich zu vernehmen, überhaupt 
den angetretenen oder nach dem Ermessen des 
Gerichts erforderlichen Beweis in vollem Um- 
fange zu erheben. Die Beweiserhebung khann 
das Gericht durch eines seiner Mitglieder oder 
erforderlichen Falles durch eine zu dem Ende 
zu ersuchende sonstige Behörde, insbesondere 
auch einen Kreisausschuß oder Landrat oder 
ein Amtsgericht, bewirken lassen. Es kann 
aber auch anordnen, daß sie in der mündlichen 
Verhandlung stattfinden soll, und dies wird 
in der Regel zu geschehen haben. Die Beweis- 
verhandlungen sind stets unter Zuziehung 
eines vereidigten oder von der betreffenden 
Behörde durch Handschlag zu verpflichtenden 
Protokollführers aufzunehmen, und die Par- 
teien sind zu ihnen zu laden. Aach §71 Abf. 2 
LV. haben ferner in der mündlichen Ver- 
handlung die Parteien sämtliche Beweismittel 
anzugeben und, soweit dies nicht bereits ge- 
schehen, die schriftlichen, ihnen zu Gebote 
stehenden Beweismittel vorzulegen; auch 
können von ihnen Zeugen zur Vernehmung 
vorgeführt werden. Wenn eine Beweisauf- 
nahme durch besonderen Beschluß angeordnet 
worden ist und stattgefunden hat, wird ein 
höheres Kostenpauschguantum erhoben (Kosten- 
tarife vom 27. Febr. 1884 — MhBl. 30 — und 
  
Bezirksausschüsse. 
vom 8. Dez. 1905 — HM.Ll. 338 — Ar. IV). 
Wie im Zivilprozesse Kkann auch im Verwal- 
tungsstreitverfahren ein Beweisbeschluß nicht 
selbständig mit einem Rechtsmittel (der Be- 
schwerde) angefochten werden. Im Beschluß- 
verfahren kommen für die Erhebung und 
Würdigung des Beweises die Vorschriften der 
§§ 76—79 LV0., also auch die des § 77 über 
die Ladung der Parteien, sinngemäß zur An- 
wendung (LVG. 8 120). Für beide Arten des 
Verfahrens wiederholen schließlich noch der 
§ 10 des Regul. für die Kreisausschüsse und 
die an deren Stelle tretenden Behörden (Stadt- 
ausschüsse, Magistrate) vom 28. Febr. 1884 
(AlBl. 41), der § 10 des Regul. für die Bezirks- 
ausschüsse von demselben Tage (MBl. 37 und 
der § 9 des Regul. für die Bergausschüsse vom 
8. Dez. 1905 (OMhl. 333), daß der Kreisaus- 
schuß, der Bezirksausschuß bzw. der Bergaus- 
schuß zur Aufnahme des Beweises nach näherer 
Vorschrift der §8§ 76—79, 120 LVSE. bezw. der 
§8 76—79 LVS. befugt ist, sowie für das Be- 
schlußverfahren der § 9 des BRegul. für die 
Provinzialräte vom 28. Febr. 1884 (M ä. 35), 
daß der Provinzialrat dazu nach näherer Vor- 
schrift der §§ 76—79, 120 a. a. O. befugt ist. 
IV. Die 3 PO. behandelt in den §§ 485—494 
als etwas Besonderes die Sicherung des Be- 
weises (Beweisaufnahme zum ewigen Gedächt- 
nis), die sich von der Beweisaufnahme im 
Prozesse dadurch unterscheidet, daß sie vor der 
zur Beweisaufnahme führenden Prozeßentwick- 
lung, unter Umständen schon vor der Anhängig- 
keit des Prozesses und ohne Prüfung der Er- 
heblichkeit der zu beweisenden Tatsachen statt- 
findet. Eine solche Beweisaufnahme ist in 
keinem Verwaltungsprozesse, namentlich nicht 
in dem nach dem LVE., vorgesehen. Sobald 
das Verwaltungsstreitverfahren anhängig ist, 
ist sie wegen der Freiheit zur Beweisaufnahme 
schon vor der mündlichen Verhandlung (LV. 
§ 70) entbehrlich. Ist die Sache noch nicht an- 
hängig, so kann sie beim Amtsgerichte bean- 
tragt werden. Diesem braucht nicht angegeben 
zu werden, für welchen Rechtsstreit sie dienen 
soll, der Rechtsstreit kann daher auch ein Ver- 
waltungsstreitverfahren sein. Die Benutzung. 
der Beweisverhandlungen im Verwaltungs- 
streitverfahren unterliegt demnächst der freien 
Beweiswürdigung des Verwaltungsrichters. 
S. auch den Artikel Eid. 
Bezirksausschüsse. I. B. bestehen für jeden 
Regierungsbezirk am Amtssitze des Regierungs- 
präsidenten (LVG. 8 4 Abs. 1) und setzen sich 
aus drei Elementen zusammen: dem Regierungs- 
präsidenten als Vorsitzenden, zwei vom König 
auf Lebenszeit ernannten Mitgliedern, von 
denen eines mit dem Titel Verwaltungsgerichts- 
direktor (s. d.) Stellvertreter des Regierungs- 
prästdenten im Vorsitz ist, und das eine zum 
ichteramte, das andere zur Bekleidung von 
höheren Verwaltungsämtern befähigt sein muß, 
und vier auf sechs Jahre durch den Provinzial- 
ausschuß gewählten MUltgliedern. Außerdem 
werden Stellvertreter des Regierungspräsiden- 
ten und der Mitglieder in gleicher Weise ernannt 
bzw. gewählt. Die näheren Bestimmungen über 
die Zusammensetzung der B., über die Wählbar- 
keit und die Wahlen, über das Eintreten von
	        
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