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der Aufsichtsbehörde. Die Tarifvorschriften
für die Personen-, Tier= und Gütertarife, so-
wie die Güterklassifikation sind infolge von
Vereinbarungen der deutschen Staats= und
Privatbahnen seit dem Jahre 1877 gleichmäßig
gestaltet, auch die Normalsätze der Güter-
tarife sind tatsächlich im wesentlichen dieselben.
Sie sind zusammengestellt in je einem Teil 1
des Tarifs für die Beförderung von Personen,
Gepäck und Leichen, des Tarifs für die Be-
förderung von Tieren und des Tarifs für die
Beförderung von Gütern. Der letztere zerfällt
in eine Abteilung A, enthaltend die EV0.
nebst Zusatzbestimmungen, und eine Abtei-
lung B, enthaltend die Tarifvorschriften nebst
Güterklassifination. Das Güuütertarifsystem
der deutschen Eisenbahnen ist ein gemischtes,
es enthält zwei Eilgutklassen, zwei Stüchgut-
klassen, zwei allgemeine Wagenladungsklassen
und drei Spezialtarife. Uber die Fortbildung
und Aufrechterhaltung dieser Tarife berät all-
jährlich die aus Vertretern aller deutschen
Eisenbahnen bestehende Generalkonferenz
der deutschen Eisenbahnen, deren Beschlüsse
vorbereitet werden durch die ständige Tarif-
Lommission in Gemeinschaft mit dem aus
Vertretern von Handel, Industrie und Land-
wirtschaft zusammengesetzten Ausschuß der
Verkehrsinteressenten. — Die besonderen
Bestimmungen und die Tarisfsätze für die ein-
zelnen Eisenbahnen oder Gruppen von Eisen-
bahnen befinden sich in den Teilen II. Die
neben den regelmäßigen Tarifen bestehenden
Ausnahmetarife werden in den einzelnen
Eisenbahngebieten selbständig festgesetzt, doch
halten die deutschen Eisenbahnen auch hier,
wenigstens bei wichtigeren, in das Verkehrs-
gebiet anderer Eisenbahnen übergreifenden
arifen, Fühlung miteinander. Die Abwei-
chungen der Ausnahmetarife bestehen meist
darin, daß ihre Sätze niedriger sind als die
der regelmäßigen Tarife, daß sie nach anderen
Grundsätzen gebildet werden, daß sie nur für
gewisse Berkehre Geltung haben. Ausnahme-
tarife sind dem Landeseisenbahnrat vorher
zur Genehmigung vorzulegen. Die deutschen
egierungen haben sich darüber verständigt,
gewisse Unregelmäßigkeiten in der Tarifbil=
dung, z. B. Tarife mit höheren Sätzen für die
vorgelegene Station derselben Strecke, Tarife,
die die Einfuhr ausländischer Erzeugnisse zum
Schaden der heimischen Produktion begünsti-
gen, nicht zuzulassen, sofern nicht ganz be-
sondere Gründe für ihre Zulassung sprechen.
Derartige unregelmäßig gebildete Tarife nennt
man auch Differentialtarife, ein Begriff,
der übrigens früher sehr verschieden aufgefaßt
wurde und heutzutage kaum noch in Deutsch-
land Bedeutung hat. Verzeichnisse der auf
den preuß.-hess. Staatsbahnen bestehenden Aus-
nahmetarife werden in bestimmten Zwischen-
räumen dem Landeseisenbahnrat mitgeteilt.
Die Personen= und Gepäcktarife der
deutschen Eisenbahnen sind sehr verschieden.
In Preußen und einzelnen norddeutschen
Staaten vier Wagenklassen, in Süddeutsch-
land drei Wagenklassen, in Aorddeutschland
für jede Fahrkarte 25 kg Freigepäch, das in
Süddeutschland nicht gewährt wird, während
Eisenbahnunternehmungen.
die Gepächsätze in Süddeutschland niedriger
sind, als in Norddeutschland, Verschiedenheit
in der Erhebung der Schnellzugszuschläge, in
einzelnen Staaten besonders geartete Aus-
nahmetarife (Kilometerhefte, Landeskarten).
Seit 1905 schweben Verhandlungen zwischen
den deutschen Staaten über Vereinheitlichung
und Vereinfachung der Personen= und Gepäck-
tarife, die im Frühjahr 1906 in den wesent-
lichen Punkten zu einem Einverständnis ge-
führt haben. Die neuen Tarife würden nicht
vor dem 1. April 1907 in Kraft treten.
Eisenbahnunternehmungen (G. über die
E. vom 3. Nov. 1838 — GS. 505; Eisen-
bahngesetz, preuß.). I. Die preuß. Regie--
rung stand, als die ersten Eisenbahnen, in
anderen Ländern angelegt wurden, dem neuen
BVerkehrsmittel abwartend gegenüber, und
auch in der Bevölkerung war ein lebhaftes
Bedürfnis zum Bau neuer Verkehrswege zu-
nächst nicht vorhanden. Als um die Mitte
der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts
eine Anzahl von Anträgen auf Bau von Eisen-
bahnen an die Regierung herantraten, hielt
diese es für erforderlich, zunächst eine gesetzliche
Grundlage zu schaffen, nach der die öffentlichen
und privatrechtlichen Beziehungen dieser neuen
Unternehmungen geregelt würden. Der Bau
von Eisenbahnen durch den Staat, der von
einzelnen befürwortet wurde, kam für Preußen
nicht in Frage, weil ein solcher ohne Be-
schaffung der erforderlichen Mittel durch An-
leihen nicht möglich war, der § II der Allerh V.
vom 17. Jan. 1820 aber bestimmte, daß Staats-
anleihen nur mit Zustimmung und unter Mit-
garantie der hünftigen reichsständischen Ver-
sammlung aufgenommen werden hönnten, die
nicht vorhanden war. Es mußte also der
Privatunternehmungsgeist herangezogen wer-
den, der nunmehr auf baldige Genehmigung
der Eisenbahnen drängte und den Erlaß ge-
setzlicher Bestimmungen nicht abwarten konnte.
Die ersten Eisenbahnkonzessionen mußten da-
her erteilt werden vor Erlaß eines solchen
Uaesees, Es wurden also durch KabO. vom
14. Febr. 1836 zunächst 14 Bedingungen fest-
gestellt, die der Konzession der ersten Eisen-
bahnen (zunächst der Magdeburg-Leipziger
Eisenbah zugrunde gelegt werden sollten.
Sodann haben lange Beratungen im St M.
im Staatsrat und in besonderen Ausschüssen
stattgefunden, deren Ergebnis das G. vom
3. Nov. 1838 war. Das Gesetz ist durch AOrder
vom 19. Aug. 1867 (GS. 1426) auf die im
Jahre 1866 einverleibten Landesteile (außer
Lauenburg) ausgedehnt. Dieses Gesetz, eine
gesetzgeberische Leistung ersten Ranges, steht
in seinen Grundlagen noch heute in K
Seine Bedeutung beruht nicht allein darin,
daß es in den ersten Zeiten des Eisenbahn-
wesens mit Erfolg den Versuch gemacht hat,
gesetzliche Bestimmungen für eine ganz neue
Verbehrsanstalt festzustellen, sondern weiterhin
darin, daß viele dieser Bestimmungen für die
Entwickelung neuer BRechtsgebiete die Unter-
lage bilden. Hierher gehört das Haftpflicht-
recht, das Enteignungsrecht, das Aktienrecht
usw. Diese letzteren Bestimmungen sind heute
zum Teil veraltet. Es sind durch spätere