Full text: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Erster Band (A-K). (1)

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so kann das Gericht das Verfahren auf eine 
nach seinem Ermessen zu bestimmende Zeit 
aussetzen, wenn zu erwarten ist, daß der zu 
Entmündigende sich bessern werde, insbesondere 
dann, wenn er sich freiwillig einem Heilver- 
fahren unterzieht. Zur Anfechtungsklage ist 
nur der Entmündigte selbst befugt. Die Klage 
ist gegen den Antragsteller, wenn aber dieser 
verstorben oder sein Aufenthalt unbekannt 
oder im Auslande ist, gegen den Staatsanwalt 
zu richten. Berechtigt zum Antrag auf Wieder- 
aufhebung der E. sind der Entmündigte und 
sein gesetzlicher Vertreter, dem die Sorge für 
die Person zusteht. Zur Klage bei Ablehnung 
des Wiederaufhebungsantrags sind der zur 
Sorge für die Person berufene gesetzliche Ver- 
treter des Entmündigten und der, wenn dieser 
Vertreter nicht Rlagen will, vom Vorsitzenden 
bestellte Rechtsanwalt befugt. Auch diese Klage 
ist gegen denjenigen, welcher die E. beantragt 
atte, sonst gegen den Staatsanwalt zu richten. 
ie E. wegen Verschwendung oder wegen 
Trunksucht und ebenso ihre Wiederaufhebung 
sind vom Amtsgericht öffentlich bekanntzu- 
machen. Das jetzige Entmündigungsverfahren 
mit seiner Teilung in ein amtsgerichtliches 
nichtstreitiges Verfahren und in einen land- 
gerichtlichen Parteiprozeß mit Rünstlicher Par- 
teibildung und mit einer Vermengung von 
Offizial= und Verhandlungsmaxime ist ein 
wenig gelungener Teil der ZP. 
Entschädigung bei Aufhebung von Steuer- 
befreiungen. Aach ALR. II, 14 § 2 unter- 
liegen dem Besteuerungsrechte des Staats alle 
diesenigen, „die für ihre Personen, Vermögen 
oder Gewerbe den Schutz des Staats ge- 
nießen“". Der Staat ist also jederzeit berech- 
tigt, durch Gesetze sein Besteuerungsrecht auf 
die hierunter fallenden, bisher aber steuer- 
freien Personen und Objekte auszudehnen, 
ohne deshalb eine Entschädigung leisten zu 
müssen. Eine zur Entschädigung verpflichtende 
Steuerfreiheit kann nach 8§§ 4, 5, 79 a. a. O. 
der Regel nach nur durch Vertrag, ausdrück- 
liches Privileg oder Verjährung erlangt werden. 
Eine Entschädigung für Aufhebung von Steuer- 
freiheit Kkonnte daher nicht in Frage Rommen, 
wenn es sich um Ausdehnung der Steuer- 
pflicht auf ganze Kategorien bisher steuer- 
freier Personen oder Gegenstände handelte, 
sondern nur, wo die Steuerfreiheit auf solchen 
speziellen Rechtstiteln beruhte. Dies war der 
Fall bei Aufhebung der Grundsteuerbefreiungen 
und der Personalsteuerfreiheit der ehemals 
Reichsunmittelbaren. Doch wurde bei Auf- 
hebung der Grundsteuerbefreiungen in der 
Gewährung von Entschädigungen weiterge- 
gangen, indem man sich von der Erwägung 
leiten ließ, daß auch die auf keinem speziellen 
Rechtstitel beruhenden Befreiungen im Laufe 
der Zeit tatsächlich den Charakter von NReal- 
berechtigungen der betreffenden Güter ange- 
nommen hatten. 
I. Durch das G., betr. die für die Aufhe-- 
bung der Grundsteuerbefreiungen und 
-bevorzugungen zugewährendeEntschä- 
digung, vom 21. Mai 1861 (GS. 327) wurde 
für die durch § 5 des Grundsteuergesetzes von 
demselben Tage (s. Gemeindegrundsteuer) 
  
  
Entschädigung bei Aufhebung von Steuerbefreiungen. 
verfügte Aufhebung solcher Befreiungen und 
Bevorzugungen, welche durch lästigen Vertrag 
oder spezielles Privilegium erworben waren 
oder nachweislich auf einem andern Titel des 
Privatrechts beruhten, eine Entschädigung in 
Höhe des 20 fachen Jahresbetrags der Rünftig 
mehr als bisher zu entrichtenden Staatsgrund- 
steuer gewährt, sofern nicht durch Vertrag oder 
Privileg etwas anderes bestimmt war. Zur 
Entschädigung anderer bisher befreiten oder 
bevorzugten Grundstüche wurde ein Gesamt- 
kapital in Höhe des 13 ½/6fachen derjenigen 
Summe bestimmt, welche von diesen Grund- 
stüchken zusammen mehr als seither an Grund- 
steuer zu entrichten sein würde, wenn sie 
überall nach den bisherigen Grundsteuerver- 
fassungen veranlagt wären, mit andern Worten, 
wenn nur ihre Befreiung oder Bevorzugung 
aufhörte, die bisherigen Grundsteuern aber 
bestehen blieben. Bei der Ausführung ergab 
sich für diese Grundstücke eine Entschädigung 
in Höhe des 9,067 fachen der wirklichen Mehr- 
belastung durch die neue Grundsteuer. Unter 
gewissen Voraussetzungen erhielten auch Städte 
Entschädigungen. Soweit die Entschädigung 
nicht durch Abgabenerlaß oder Rentenablösung 
erfolgte, wurde sie nebst 4% Zinsen seit 
1. Febr. 1865 entweder in bar oder in 
Staatsschuldverschreibungen zum Mennwert 
geleistet. Bei Ausdehnung der Grundsteuer- 
gesetzgebung vom 11. Alai 1861 auf die neuen 
Provinzen wurden auch dort auf Grund des 
G. vom 11. Febr. 1870 (GS. 85) Entschä- 
digungen für Aufhebung der Befreiungen und 
Bevorzugungen nach im wesentlichen gleichen 
Grundsätzen gewährt, jedoch für die nicht auf 
nachweisbarem Rechtstitel beruhenden nicht 
ein Gesamtkapital, sondern von vornherein 
das 9,067 fache der wirklichen Mehrbelastung. 
Im ganzen gelangten zur Auszahlung an 
Einzelempfänger rund 29, an Städte rund 
6,1 Mill. M. Als durch das sog. Aufhebungs- 
gesetz vom 14. Juli 1893 (GS. 119) die Grund- 
steuer als Staatssteuer außer Hebung gesetzt 
wurde (ogl. Aufhebung direkter Staats- 
steuern), wurden durch dasselbe (8§ 18—27, 
AusfAnw. vom 29. Nov. 1893) die Entschä- 
digungen grundsätzlich zurüchgefordert. Die 
Erstattung trat aber nicht ein, wenn und so- 
weit die Güter oder Grundstücke nach er- 
folgter Entschädigung durch entgeltliches Rechts- 
geschäft in andere Hände gelangt waren; 
waren in dieser Weise nur Absplissen zu öffent- 
lichen Wegen od. dgl. veräußert, so wurde der 
auf sie entfallende Teil der Entschädigung 
von dem zurüchkzuerstattenden Betrage nur ge- 
kürzt, wenn der Grundsteuerreinertrag der 
Absplisse mehr als 1/10 desjenigen des ganzen 
Gutes oder Grundstückhs und zugleich mehr 
als 30 M. betrug. Hatte das Gut oder 
Grundstück nach erfolgter Entschädigung durch 
Schenkung, Vermächtnis, Erbteilung oder 
Gutsüberlkassungsvertrag den Eigentümer ge- 
wechselt, so blieb die Erstattung zu demjenigen 
Bruchteile ausgeschlossen, zu dem der derzeitige 
Eigentümer weder unmittelbar noch mittelbar 
Erbe des Entschädigten geworden war. Von 
den an Städte gewährten Entschädigungen 
waren diesenigen, die von der Stadt auf die
	        
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