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verdachts und nur dann verhängt werden, wenn
der Angeschuldigte zu den im § 112 Ziff. 2
oder 3 bezeichneten Personen gehört oder
unter Polizeiaufsicht steht, oder wenn es sich
um eine Ubertretung handelt, wegen der die
Überweisung an die Landespolizeibehörde er-
kannt werden kann (§ 113). Kann der Ver-
haftete nicht spätestens am Tage der Ergreifung
vor den zuständigen Richter gestellt werden,
so ist er auf sein Verlangen sofort dem nächsten
Amtsrichter vorzuführen (§8 115, 132). Haft-
befehle behufs Vollstrechung von Freiheits-
strafen Kkönnen von der Staatsanwaltschaft
erlassen werden (§ 489). Die Polizeibehörden
sind zur Vollstreckung von Haftrequisitionen
der Strafvollstrechungsbehörden verpflichtet
(Erl. vom 24. April 1880 — Al. 136); sie
sind berechtigt, vorläufig entlassene Strafge-
fangene aus dringenden Gründen des öffent-
lichen Wohles einstweilen festzunehmen, müssen
aber sofort den Beschluß des JM. über den
endgültigen Widerruf der vorläufigen Entlas-
sung nachsuchen (StGB. § 25; Regl. vom
21. Jan. 1871 — MI. 47).
b) Den praktisch häufigeren Fall bildet bei
der in Strafsachen meist gebotenen Beschleu-
nigung die vorläufige Festnahme, zu der
die Staatsanwaltschaft und die Polizei= und
Sicherheitsbeamten auch ohne richterlichen Be-
sehl befugt sind, wenn die Voraussetzungen
eines Haftbefehls vorliegen und Gefahr im
Verzuge obwaltet. Personen, die auf frischer
Tat betroffen oder verfolgt werden und flucht-
verdächtig sind oder sich nicht sofort über ihre
Persönlichkeit ausweisen können, dürfen von
jedermann vorläufig festgenommen werden.
Der Strafantrag bei Antragsdelikten Rann
nachgebracht werden (§ 127). Der von den
Beamten des Polizei= oder Sicherheitsdienstes
Festgenommene ist zunächst der Polizeibehörde
des Aufgreifungsortes und, sofern er von
dieser nicht wieder in Freiheit gesetzt wird,
unverzüglich dem Amtsrichter des Bezirks
vorzuführen, in welchem die Festnahme er-
folgte (Erl. vom 11. Juli 1881 — MBl. 183;
RGG.. 29, 136; St PO. 128). Die Vorschrift
„Unverzüglich" bedeutet „ohne schuldhaftes
Verzögern" (BE. 8 121), enthält also kReine
bestimmte Zeitangabe, sondern läßt der Poli-
zeibehörde eine angemessene Rhurze Frist für
den tunlichst beschleunigten Abschluß der not-
wendigsten Ermittlungen zur Feststellung der
Personen und des Tatbestandes. Die Vor-
führung braucht nicht unbedingt durch Zufüh-
rung der Personen zu geschehen. Unter Um-
ständen genügt es, daß der Festgenommene
durch Mlitteilung der Akten der Gerichtsbe-
hörde zur Verfügung gestellt wird, z. B. wenn
er wegen Krankheit oder Verwundung in ein
Krankenhaus aufgenommen werden muß (sog.
sombolische Vorführung). Zwischen den Land-
gerichten, der Staatsanwaltschaft und der Orts-
polizeibehörde kann an Orten, welche Sitz des
Amterichters und der Staatsanwaltschaft sind,
vereinbart werden, daß die Vorführung vor den
Amtsrichter durch Vermittlung der Staatsan-
waltschaft erfolgt, sofern der Festgenommene nicht
ausdrücklich verlangt, dem Gerichte unmittelbar
vorgeführt zu werden (Erl. vom 3. Dez. 1889
Freiheit, persönliche.
— Al. 220). Die RKosten des Transportes
zum Gericht sind von der örtlichen Polizei-
verwaltung zu tragen (Erl. vom 8. Jan. 1880
— Al. 29). Die festgenommenen Personen
müssen an Körper und Kleidung reinlich und
frei von Ungeziefer abgeliefert werden (Erl.
vom 13. Sept. 1883 — UM l. 222, und vom
17. Juni 1888 — M Bl. 179), doch sind Ver-
einbarungen dahin zulässig, daß die Reinigung
erst in dem Gerichtsgefängnisse für Rechnung
der Polizeiverwaltung vorgenommen wird
gegen eine Entschädigung von 0,50—1 M. oder
gegen einen Pauschalbetrag (Erl. vom 9. Juli
1884 und Jl. vom 19. Juni 1884 — MVBl.
209). Die Gendarmen sind befugt, die Vor-
führung ihrer Gefangenen unmittelbar und
im ungereinigten Zustande vor das Amtsge-
richt zu bewirken, falls dieses näher liegt als das
Polizeiamt des Aufgreifungsortes (Ml. 1881,
183 und 1883, 222). Uber polizeiliche Fest-
nahmen von Personen, welche der Militär-
gerichtsbarkeit unterstehen (val. MSt GSO. vom
1. Dez. 1898 — REl. 1189 — 8§8 176, 180,
181, 184 und AkabO. vom 6. Dez. 1855 —
MGS. 5, 371). Uber die Befugnis militäri-
scher Wachen zu Festnahmen s. Wachen. Uber
die entsprechende Befugnis der bahnpolizei-
lichen Beamten s. Bahnpolizei. Im Ver-
waltungsgebiete der in direkten Steuern
sind auch die Steuerbehörden zur vorläufigen
Festnahme berechtigt, wenn die Voraussetzungen
eines Haftbefehls vorliegen und Gefahr im
Verzuge obwaltet. Der Beschuldigte kann
zuerst der nächsten Steuerstelle behufs Ver-
nehmung vorgeführt werden und ist sofort in
F. zu setzen, wenn er sich der Strafe unter
Einzahlung des erforderlichen Geldbetrages
unterwirft, volle Sicherheit leistet oder sich
über seine Person ausweist und eine Sicher-
heitsleistung nicht erforderlich scheint. Auf
Verlangen ist er dem zuständigen Amtsrichter
vorzuführen (Verwaltungsstrafgesetz vom
26. Juli 1897 — GS. 237 — § 19). S. auch
Berwaltungsstrafverfahren unter V, 2a.
III. Freiheitsbeschränkungen zur Durch-
führung der allgemeinen polizeilichen Auf-
gaben sind in doppelter Form zulässig.
a) In polizeiliche Verwahrung (..
Verwahrung, polizeiliche) Bhönnen
Personen genommen werden, wenn deren
eigener Schutz oder die Aufrechterhaltung
der öffentlichen Sittlichkeit, Sicherheit und
Ruhe diese Maßregel dringend erfordern (G.
zum Schutze der persönlichen F. vom 12. Febr.
1850 — GS. 45 — § 6). Die Befugnis hier-
u ist von der StPO. unberührt geblieben
## 4, 101; 11, 101; 15, 356). Sie steht den
polizeilichen Behörden und anderen Beamten
zu, welchen Lsetich die Pflicht obleegt. Ver-
brechen und Vergehen nachzuforschen (§ 3 des
G.). Beispiele für die polizeiliche Schutzhaft
sind die Ausnüchterung Trunkener auf der
Wache, die Festnahme von Selbstmordkandi-
daten und Geisteskranken, die Rüchführung
entlaufener Kinder zu den Erziehungsberech-
tigten (Erl. vom 26. Dez. 1852 — M Bl. 1853,
13; vgl. aber Erl. vom 22. Jan. 1852 —
Ml. 10 — und RESt. 29, 200: Rein polizei-
liches Eingreifen in Erziehungsstreitigkeiten)),