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notwendig ist, und die Landesgesetze die Ent-
scheidung darüber, ob der inderjährige,
dessen Zwangserziehung angeordnet ist, in
einer Familie oder in einer Erziehungs= oder
Besserungsanstalt unterzubringen sei, einer
Verwaltungsbehörde übertragen können, wenn
die Unterbringung auf öffentliche Kosten zu
erfolgen hat. Der 8 56 StGB. betrifft die
Anordnung einer Zwangserziehung für einen
freigesprochenen Strafunmündigen durch den
Strafrichter, der § 1666 BB. die Maßregeln,
welche das Vormundschaftsgericht zu treffen
hat, wenn das geistige oder leibliche Wohl
eines Kindes dadurch gefährdet wird, daß der
Vater das PRecht der Sorge für die Person
des Kindes mißbraucht, das Kind vernach-
lässigt oder sich eines ehrlosen oder unsittlichen
Verhaltens schuldig macht, und der § 1838
Be. die Befugnis des Vormundschafts-
erichts, anzuordnen, daß der Mündel zum
wecke der Erziehung in einer geeigneten
Familie oder in einer Erziehungsanstalt oder
einer Besserungsanstalt untergebracht wird. Zu-
leich erhielt durch Art. 34 II EcBes. der
55 St GB. eine andere Fassung, die klar-
stellte, daß die Behörde, welche die Anordnung
zu treffen hat, das Vormundschaftsgericht ist,
und daß die Unterbringung auch in einer
Familie erfolgen kann. Von der hiernach der
andesgesetzgebung gewährten Befugnis, das
Zwangserziehungswesen innerhalb der durch
Art. 135 gesteckten Schranken neu zu regeln,
haben fast alle deutschen Bundesstaaten Ge-
brauch gemacht Preußen durch das G. über
die F. Alinderjähriger vom 2. Juli 1900 (GS.
264), zu welchem der Md J. die Ausführungs-
bestimmungen vom 18. Dez. 1900 (Ml. 1901,
27) und der Il. die Allg Bf. vom 6. Febr.
1901 (JMlI. 31) und 1. Dau- 1904 (JWMIlI.
259) erlassen haben.
II. Die F. ist keine Strafe, sondern eine
sozialpolitische und sittenpolizeiliche
WMaßregel s. Zwangserziehung). Sieliegt
daher im wesentlichen den Verwaltungsbehör=
den (Kommunalverbänden) ob. Die Gerichte,
und zwar die Vormundschaftsgerichte, üben da-
bei nur eine beschränkte, sich als ein Teil der
freiwilligen Gerichtsbarkeit darstellende Tätig-
keit aus, für welche, soweit nicht Abweichungen
besonders angeordnet sind, die allgemeinen
Vorschriften des Pr FG. und die in diesem
Ur anwendbar erklärten Bestimmungen des
G. gelten (§ 7 des G.). Die Voraus-
setzungen der F. sind entweder, daß die Fälle
des § 1666 oder des § 1838 BB. vorliegen
und die F. erforderlich ist, um die Verwahr-
losung des Minderjährigen zu hindern, oder
daß der Minderzährige eine strafbare Hand-
lung begangen, sich dabei im Alter unter
12 Jahren befunden hat und die F. zur Ver-
hütung weiterer sittlicher Verwahrlosung er-
forderlich ist, oder endlich, daß außer diesen
Fällen die F. zur Verhütung des völligen
sittlichen Verderbens des Minderjährigen er-
forderlich ist G 1 des G.). Die F. ist bei
allen deutschen Minderjährigen zulässig, auch
wenn sie nicht die preuß. Staatsangehörigkeit
besitzen, nicht aber bei Ausländern (K#.
23 A 40, betr. ein Zigeunerkind). Dadurch, daß
Fürsorgeerziehung.
ein Minderjähriger durch Urteil im Strafver-
fahren mangels der zur Erkenntnis der Straf-
barkeit erforderlichen Einsicht freigesprochen,
und hierbei seiner Familie überwiesen worden.
ist, wird die Anordnung der F. auf Grund
derselben strafbaren Handlung nicht ausge-
schlossen (K#J. 29 A 34). Wegen der F. gegen-
über Rindern inländischer, d. h. solcher Iibeu-
ner, welche nachweisbar die Staatsangehörig-
keit in einem deutschen Bundesstaate besitzen,
s. Md JAnw. zur Behämpfung des Zigeuner-
unwesens vom 17. Febr. 1906 (MBl. 54) Ziff. 11.
Uber das Verhältnis zwischen F. und Armen-
pflege herrscht Streit. Nach der auch vom BAH.
gebilligten Rechtsprechung des 8. ist die F.
höchst subsidiärer Natur und hat erst dann
einzutreten, wenn und soweit die öffentliche
Armenpflege die Anwendung des Fürsorge-
erziehungsgesetzes nicht entbehrlich macht. Dem-
nach ist die F. abzulehnen, wenn die Ver-
wahrlosung lediglich eine Folge von Armut
und für den A. eine Pflicht zur Unterstützung
vorhanden ist. Ein Beschluß des Vormund-
schaftsgerichts auf Grund des § 1666 B.
ist für den AV. bindend. Dieser darf das
ind nicht bei seinem Gewalthaber unter-
bringen, wenn das Gericht seine Entfernung
aus dem elterlichen Haushalt angeordnet hat.
Andererseits braucht der AV. nicht Aufwen-
dungen für reine Erziehungszwecke zu machen.
Genügen also die Trennung des Kindes von
den Eltern und die Gewährung von Armen-
unterstützung nicht, um die Verwahrlosung
des Kindes zu hindern, ist namentlich An-
staltspflege notwendig, so muß die F. eintreten.
III. Die Tätigkeit des Vormundschafts-
gerichts bei der F. umfaßt: a) Die Feststellung
des Vorhandenseins der Voraussetzungen für die
F. und die Anordnung der Unterbringung zu
derselben (§ 3). Dies kann von Amts wegen
oder auf Antrag bestimmter Behörden (Land-
rat, Gemeindevorstand) geschehen (5§ 4). Für
das Verfahren sind einzelne leitende, beson-
ders das Familien= und öffentliche Interesse
berüchsichtigende Bestimmungen getroffen (88 4,
6, 8). b) Die Anordnung einer vorläufigen
Unterbringung des Minderjährigen bei Ge-
fahr im Verzuge (8§ 5). c) Die Zustellung des
über die F. erlassenen Beschlusses und dem-
nächst die Mitteilung von dessen Vollstreck-
barkeit an den verpflichteten Kommunalver-
band (vogl. hierzu und über die Zusendung
der Akten an den Kommunalverband die
Allg Bf. vom 19. März 1901 — JIll. 73;
vom 7. u. 27. Juni 1901 — Ml. S. 193, 192 —
und vom 30. April 1902 — Jll l. 91, MBi.
100), und die Entgegennahme der Mitteilungen
des letzteren von der Unterbringung und von
der Entlassung des Zöglinges (§ 4 Abs. 3, § 9).
d) Die Bestellung des Anstaltsvorstandes oder
eines von dem verpflichteten Kommunalver=
bande bestellten Beamten, die vor den Eltern
und den Großvätern des Zöglinges berufen
sind, zu dessen Vormunde (§ 12). e) Die Ent-
scheidung auf die Beschwerde der Eltern oder
des gesetzlichen Vertreters des Minderjährigen
wegen Ablehnung des auf eine vorzeitige Auf-
hebung der F. gerichteten Antrags durch den
Kommunalverband (§ 13).