Full text: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Erster Band (A-K). (1)

Fürsorgeerziehung. 
IV. Dagegen liegt die Unterbringung zur 
F. in Ausführung der Anordnung des Vor- 
mundschaftsgerichts den im § 14 bezeichneten 
Kommunalverbänden ob (§ 9), auch bei un- 
heilbarer Krankheit (OB. 45, 430). Sie er- 
folgt unter öffentlicher Aufsicht und auf öffent- 
liche Kosten tunlichst in einer geeigneten 
Familie, anderenfalls in einer Erziehungs- 
oder Besserungsanstalt, niemals jedoch in 
Arbeits= und Landarmenhäusern und in An- 
stalten, welche für Kranke, Gebrechliche, Idiote, 
Taubstumme oder Blinde bestimmt sind, nur 
so lange, als es der Rörperliche oder geistige 
Zustand der Böglinge erfordert (88§ 2, 10), wo- 
bei sich die Verpflichtung zur Unterbringung 
in Krankenanstalten nicht auf Erkrankungen 
nach erfolgter Unterbringung des Zöglinges 
in einer Familie oder in einer Erziehungs- 
und Besserungsanstalt beschränkt (BAb-. im 
Pr Vl. 26, 470). Die erstmalige Uberführung 
ist Sache der Polizeibehörde des Aufent- 
haltsortes (Erl. vom 23. Febr. 1906 — MRl. 
37 — § 9 Abs. 3). Die Kommunalverbände 
haben, soweit es an Gelegenheit fehlt, die 
Zöglinge in geeigneten Familien sowie in 
öffentlichen, kirchlichen oder privaten Anstalten 
unterzubringen, für die Errichtung von Er- 
ziehungs= und Besserungsanstalten, auch, so- 
weit nötig, für ein angemessenes Unterkommen 
bei der Beendigung der F. zu sorgen (§ 14), 
ferner für die Ausführung der F. und für die 
Verwaltung der von ihnen errichteten Er- 
ziehungs= und Besserungsanstalten der Ge- 
nehmigung des Md J. und in betreff gewisser 
Bestimmungen auch der des Mdg A. bedürfende 
Reglements zu erlassen (§ 17). Sie sind be- 
rechtigt, für die Zöglinge Lehr= und Dienst- 
verträge ab'uschliewen. und zwar auch mit 
Wirkung über die Dauer der F. hinaus, sowie 
sie zu lösen. Solche Verträge bedürfen weder 
der Zustimmung des Inhabers der elterlichen 
Gewalt oder des Vormundes noch der Ge- 
nehmigung des Vormundschaftsgerichts (KGJ. 
28 A 179). Ferner liegt ihnen ob, Fürsorger 
zu bestellen (s. Fürsorger). Auch haben sie 
gewisse Rechte bezüglich der Bevormundung 
der Zöglinge (§ 12) und die im § 19 bestimmte 
Pflicht hinsichtlich des Schulunterrichts der 
noch schulpflichtigen Zöglinge; wegen des 
Schulgeldes für solche Zöglinge s. Erl. vom 
23. Juli 1904 (U##Bl. 574). Die ihnen ob- 
liegende Ausführung der F. umfaßt auch die 
Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen über 
die religiöse Erziehung der Minderjährigen, 
wobei über Beschwerden der Oberpräsident 
und in höherer Instanz der Md J. entscheidet, 
dem Vormundschaftsgerichte dagegen eine Ent- 
scheidung nicht zusteht (&G# J. 29 A37). Sietragen 
die Kosten des Unterhalts und der Erziehung 
sowie der Fürsorge für entlassene Zöglinge mit 
Ausnahme derjenigen der Uberführung, der 
ersten Ausstattung, der Beerdigung und BRüchk- 
reise, welche dem OA##. des UW. und nur, 
wenn ein solcher nicht vorhanden ist, dem ver- 
pflichteten Kommunalverbande zur Last fallen 
(#15 Abs. 1). Wegen der Kosten der vorläufigen 
Unterbringung nach § 5 des G. f. Erl. vom 
27. Aug. 1902 (MBl. 164); Vf. vom 17. Okt.) 
1903 (MBl. 228); BAp. 35, 74 und O#. 
  
  
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45, 437, und wegen des Staatszuschusses zu 
den Kosten s. Pauschsätze; vgl. auch über den 
Umfang der Pflicht des preuß. Staates, zu den 
von den Provinzialverbänden bestrittenen Kosten 
der F. beizutragen, RG Z. 61, 381. Ihrerseits 
haben die Kommunalverbände ein beschränktes 
echt auf Erstattung der Kosten gegenüber den 
Zöaglingen oder den auf Grund des bürger- 
lichen Rechts zu deren Unterhalte Verpflich- 
teten, wobei für die Erstattungsforderung 
Tarife zugrunde zu legen sind (§ 16 des G. 
und Ar. X der Ausführungsbestimmungen; 
ogl. auch Tarife). Wegen der Aufhebung 
der korrektionellen Aachhaft bei Überweisun 
zur F. s. Vf. vom 29. Juni 1904 (AVBl. 222), 
wegen der Aussetzung der Strafvollstreckung 
gegen Verurteilte, die der F. überwiesen sind, 
. Allg Bf. vom 2. Juni und 1. Okt. 1904 
(OMl. 259; MIBl. S. 221, 260), wegen der 
Vorführung von Fürsorgezöglingen zu ge- 
richtlichen Terminen s. Bf. vom 29. Aug. 1903 
(MBl. 187), 14. Juli 1905 (MBl. 129) und 
7. Aug. 1905 (MBl. 131) und wegen der Uber- 
führung und Zurüchführung sowie der Aicht- 
benutzung der Sammeltransporte für Zöglinge 
s. Bf. vom 23. Febr. 1906 (Ml. 37). 
V. Die F. endigt mit der Mlinderjährigkeit. 
Ausnahmsweise ist jedoch eine frühere Auf- 
hebung von Amts wegen oder auf Antrag 
zulässig. Diese erfolgt durch Beschluß des 
Kommunalverbandes vorbehaltlich der An- 
rufung des Vormundschaftsgerichts, gegen 
dessen Entscheidung die Beschwerde an das 
Landgericht und die weitere Beschwerde an 
das Kammergericht stattfindet (8 13). 
VI. Die Oberaufsicht über die zur Unter- 
bringung von Zöglingen getroffenen Beran- 
staltungen haben die zuständigen staatlichen 
Aufsichtsbehörden der Kommunalverbände (also 
die Oberpräsidenten, in Lauenburg der Re- 
gierungspräsident, in den Hohenzollernschen 
Landen der Md J.) und in höherer Instanz 
der M J. zu führen. Sie sind befugt, zu 
diesem Zwecke Revisionen vorzunehmen (§ 20). 
Alljährlich ist über die Ausführung der F. 
von den Kommunalverwaltungen dem Ober- 
präsidenten ein Bericht nebst den erforderlichen 
Nachweisungen einzureichen und dem MdJ. 
vorzulegen. 
VII. § 21 des G. enthält eine Strafan- 
drohung gegen jeden, der einen Ailinder- 
jährigen dem eingeleiteten gerichtlichen Ver- 
fahren oder der angeordneten F. entzieht, 
was auch schon durch eine bloße Unterlassung, 
namentlich dadurch geschehen kann, daß jemand 
den ihm bekannten Aufenthalt eines der F. 
Überwiesenen dem Beamten verschweigt (Re- 
St. 37, 162, anders jedoch KJ. 26 C 60), 
ihn verleitet, sich derselben selbst zu entziehen 
oder ihm hierzu vorsätzlich behilflich ist. Die 
Selbstentziehung des Minderjährigen als solche 
ist nicht strafbar. 
VIII. Gegen Unfall sind Fürsorgezöglinge 
versichert, wenn sie eine Tätigkeit in einem nach 
den Unfallversicherungsgesetzen versicherten Be- 
triebe ausüben, gleichviel, ob sie in Anstalten 
untergebracht sind oder nicht (AMN. 1900, 531 
Nr. 1796; 1905, 208 Mr. 2075). Invalidenver= 
sicherungspflichtig sind sie dann, wenn sie Bar-
	        
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