Full text: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Erster Band (A-K). (1)

Gemeindevorsteher in den Landgemeinden. 
in bestimmten Ausnahmefällen zulässig. Das 
Amt des G. ist in der Regel ein unbesoldetes 
Ehrenamt, zu dessen Verwaltung die Gemeinde- 
glieder nach Maßgabe der Gemeindeverfas- 
sungsgesetze verpflichtet sind (s. Gemeinde- 
[Nommunal-lämter). Der G. ist mittelbarer 
Staatsbeamter und unterliegt den für diese 
hinsichtlich der Amtspflichten bestehenden ge- 
setzlichen Bestimmungen. Seine Unterstützung 
und Vertretung in Behinderungsfällen liegt G 
den Schöffen (Schöppen, Gerichtsmänner, Dorf- 
geschworene, Gerichtsgeschworene) ob, die mit 
ihm sedoch kein Kollegium bilden. Der ge- 
wählte G. bedarf überall der Bestätigung des 
Landrates, bei deren wiederholter Versagung 
die Ernennung eines Stellvertreters durch den 
Landrat zu erfolgen hat. In den sieben 
östlichen Provinzen, in Schleswig-Holstein, in 
Hessen-Aassau und in den Hohenzoll. Landen 
kann und muß unter gewissen Umständen ein 
kollegialischer Gemeindevorstand gebil- 
det werden. Die unbesoldeten G. haben der 
Gemeinde gegenüber Anspruch auf Ersatz ihrer 
baren Auslagen und die Gewährung einer 
mit ihrer amtlichen Mühewaltung in billigem 
Verhältnisse stehenden Entschädigung. Im 
übrigen bestehen hinsichtllich der Wahl der 
G., ihrer Aufgaben, Rechte und Pflichten 
in den einzelnen Provinzen Verschiedenheiten. 
II. In den sieben östlichen Provinzen 
und in Schleswig-Holstein wird nach der 
LGO. vom 3. Juli 1891 und 4. Juli 1892 der G. 
aus der Zahl der Gemeindeglieder (s. Hemeinde- 
recht [Landg.]) auf sechs Jahre gewählt. S. 
Gemeindewahlen (Landg.) III. Nach drei- 
jähriger Amtsdauer kann er auf weitere neun 
Jahre gewählt werden. In Gemeinden mit mehr 
als 3000 Einw. kann die Gemeindevertretung 
die Anstellung eines besoldeten G. be- 
schließen. Seine Wahl erfolgt auf die Dauer 
von zwölf Jahren und ist nicht auf die Ge- 
meindeglieder beschränkt. Vater und Sohn, 
sowie Bruder dürfen nicht gleichzeitig G. 
und Schöffen sein (LGO. 8 75). In größeren 
Gemeinden kann durch Ortsstatut ein aus dem 
G. und den Schöffen bestehender kollegia- 
lischer Gemeindevorstand eingeführt werden 
74). Dieser tritt jedoch nicht in allen Be- 
ziehungen an die Stelle des Gemeindevor- 
standes, vielmehr können ihm nur bestimmte 
Befugnisse durch Ortsstatut übertragen wer- 
den. Seine Beschlüsse werden nach Stimmen- 
mehrheit und unter Teilnahme von minde- 
stens drei Mitgliedern gefaßt. Bei Stimmen- 
gleichheit entscheidet die Stimme des Vor- 
sitzenden. Uber die Vertretung des G. im 
Vorsit, für den Fall seiner Behinderung hat 
das Ortsstatut Bestimmung zu treffen. An 
der Beratung und Abstimmung über Gegen- 
stände, die einzelne Mitglieder des Gemeinde- 
vorstandes oder deren Verwandte und Ver- 
schwägerte in auf= und absteigender Linie 
oder bis zum dritten Grade der Seitenlinie 
betreffen, dürfen diese nicht teilnehmen. Wird 
hierdurch der Gemeindevorstand beschluß- 
unfähig, so entscheidet der G. allein. Tritt 
eine Beschlußunfähigheit aus anderen Grün- 
den ein, so hat der G. eine zweite Sitzung 
anzuberaumen. Ergibt auch diese Beine Be- 
mit den Schöäffen stattfinden soll. 
  
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schlußfähigkeit, so hat er allein hinsichtlich 
der auf der Tagesordnung stehenden Gegen- 
stände Anordnung zu treffen (LEO. § 89). — 
Aber die Festsetzung der baren Auslagen 
und der Entschädigung der G. beschließt der 
Kr A. (6 87). Der G. führt in der Gemeinde- 
versammlung oder Gemeindevertretung den 
Vorsitz mit vollem Stimmrecht. Beschlüsse 
dieser Körperschaften, die nach der Ansicht des 
das Gemeinwohl oder das Gemeinde- 
interesse verletzen, darf er nicht ausführen. 
Er muß vielmehr die Ausführung aussetzen 
und die nochmalige Beratung und Beschluß- 
fassung herbeiführen. Beharrt die Versamm- 
lung bei ihrem Thuab, so hat er innerhalb 
zwei Wochen die Entscheidung des Kr. ein- 
zuholen. Beschlüsse, welche die Zuständig- 
keit der Versammlung überschreiten oder die 
Gesetze verletzen, muß der G. beanstanden (s. 
Beanstandungen). Im übrigen liegen ihm 
besonders folgende Geschäfte ob: Er hat die 
Gesetze und Verordnungen, sowie die Ver- 
fügungen der ihm vorgesetzten Behörden aus- 
zuführen, die Beschlüsse der Gemeindeversamm- 
lung (Gemeindevertretung) vorzubereiten und 
sie zur Ausführung zu bringen, wobei vor 
der Ausführung von Beschlüssen über die Be- 
nutzung des Gemeindevermögens eine Beratung 
Demgemäß 
ist von ihm die laufende Verwaltung bezüglich 
des Vermögens und der Einkünfte der Ge- 
meinde sowie der Gemeindeanstalten zu führen. 
Besteht für letztere eine besondere Verwal- 
tung, so hat er diese zu beaufsichtigen. Ferner 
hat er die auf dem Gemeindevoranschlage 
oder auf Gemeindebeschlüssen beruhenden Ein- 
nahmen und Ausgaben anzuweisen und das 
Rechnungs= und KAassenwesen, soweit er es 
nicht selbst verwaltet, zu beaufsichtigen. Die 
Gemeindebeamten, deren Anstellung die Ge- 
meinde beschlossen hat, sind von ihm anzu- 
stellen und zu beaufsichtigen, die Urkunden 
und Akten der Gemeinde von ihm aufzu- 
bewahren. Er hat die Gemeinde nach außen 
zu vertreten und in ihrem Namen mit Be- 
hörden und Privatpersonen zu verhandeln. 
Urkunden (s. d.) über Rechtsgeschäfte, welche 
die Gemeinde gegen Dritte verbinden sollen, 
und Vollmachten müssen unter Anführung des 
betreffenden Gemeindebeschlusses und der dazu 
erforderlichen Genehmigung oder Entschließung 
der zuständigen Aufsichtsbehörde im Mamen der 
Gemeinde von dem G. und einem Schöffen 
unterschrieben und mit dem Gemeindesiegel 
versehen sein. Zu dem Nachweise, daß von 
einer Gemeinde bei der Erwerbung oder Ver- 
äußerung von Grundstücken oder ihnen gleich- 
stehenden Gerechtsamen die den Gemeinden 
gesetzlich vorgeschriebenen Formen beobachtet 
sind, genügt eine Bescheinigung des Landrats 
als Vorsitzender des Kr A. Endlich hat der 
G. die Gemeindeabgaben und Dienste (s. Aa- 
turaldienste) nach den Gesetzen und Ge- 
meindebeschlüssen auf die Verpflichteten zu 
verteilen und wegen deren Einziehung oder 
Ausführung die erforderlichen Anordnungen 
zu treffen (5 88). Wo ein kbollegialischer Ge- 
meindevorstand eingeführt ist, können diesem 
durch das Ortsstatut die Beschlußfassung 
41°
	        
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