Full text: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Erster Band (A-K). (1)

Gemeindevorsteher in 
von dem Bürgermeister mit der Zusammen- 
berufung des Gemeinderates (§ 62) und der 
Führung des Vorsitzes in ihm (8 63), ferner 
mit der Leitung der Gemeinderatswahlen 
(§ 54) und mit der Vertretung des Gemeinde- 
rates oder der Gemeinde im Verwaltungs- 
streitverfahren beauftragt werden. Ein Exem- 
plar des Lagerbuches soll bei ihm beruhen 
(§ 94). Als Organ des Bürgermeisters hat 
er die Aufsicht über die Unterbeamten und 
Diener der Gemeinde und über ihre Dienst- 
leistungen zu führen (§ 83). Als Organ der 
Ortspolizeibehörde und als Ortsobrigkeit hat 
er dieselben Aufgaben wie in den östlichen 
Provinzen. — Der G. und sein Stellvertreter 
(Beistand) sowie die Bezirks-, Dorf= und 
Bauernschaftsvorsteher, welche Organe des G. 
sind, werden von dem Gemeinderate (s. d.) aus 
der Zahl der zur Ausübung des Stimmrechtes 
befähigten Gemeindemitglieder auf die Dauer 
von sechs Jahren gewählt. Der G. muß im 
Gemeindebezirt wohnen und die zu seinen 
Geschäften nötigen Kenntnisse besitzen. Er 
darf sein Amt nach drei Jahren niederlegen. 
Die Gewählten bedürfen der Bestätigung 
durch den Landrat, der vorher den Bürger- 
meister mit seinem Gutachten zu hören hat. 
Wird die Bestätigung (unter Zustimmung des 
Kr A.) versagt und erhält auch die Aeuwahl 
nicht die Bestätigung oder kommt keine Wahl 
zustande, so ernennt der Landrat auf den Vor- 
schlag des Bürgermeisters unter Zustimmung 
des Kr A. einen Stellvertreter auf so lange, bis 
eine erneute Wahl die Bestätigung erlangt 
hat (G. vom 15. Mai 1856 Art. 20; Kr0. 
§ 23). In denjenigen Gemeinden, welche für 
sich allein eine Landbürgermeisterei bilden, 
der Bürgermeister zugleich G. (GemO. 8 73). 
Hinsichtlich der Bestellung der Vorsteher für 
die aus standesherrlichen Besitzungen der 
Fürsten zu Wied, zu Solms-Braunfels und 
zu Solms-Hohensolms-Lich gebildeten Kom- 
munalverbände kommen die bezüglichen Be- 
stimmungen der mit der Staatsregierung ab- 
geschlossenen Rezesse zur Anwendung (Kr. 
§ 99 Ziff. 3). ie für Dienstunkosten dem 
Vorsteher zu gewährende Entschädigung wird 
von dem KrA. nach Vernehmung des Ge- 
meinderates festgesetzt, soll aber ohne Zustim- 
mung des Gemeinderates 10 Pf. für den Kopf 
der Bevölkerung nicht übersteigen. Für Dienst- 
reisen nach einem mehr als 15 km entfernten 
Orte kann besondere Vergütung verlangt 
werden. Im übrigen erfolgt die Amtsverwal- 
tung unentgeltlich (Gem O. 875; G. vom 15. Mai 
1856 Art. 21; 8G. 8§ 32 Ziff. 4). 
V. In der Prov. Hessen-Aassau steht nach 
der LGO. vom 4. Aug. 1897 an der Spitze 
der Verwaltung der Landgemeinden ein Bür- 
germeister: der im wesentlichen dieselben 
usgaben, Rechte und Pflichten hat, wie der 
G. in den östlichen Provinzen (LG0. 8 45) 
und, wie dort, von der Gemeindeversammlung 
(Gemeindevertretung), in Gemeinden mit kolle- 
gialischem Gemeindevorstande (Gemeinderat) 
aber von diesem und der Gemeindevertretung 
in gemeinschaftlicher Stzung gewählt wird. 
Ein kollegialischer Gemeindevorstand 
wird in Landgemeinden mit mehr als 500 Einw. 
  
den Landgemeinden. 645 
gebildet. Er besteht aus dem Bürgermeister, aus 
einem Beigeordneten als dessen Stellvertreter 
und aus drei (in Gemeinden mit mehr als 
2500 Einw. aus fünf) Schöffen. Von der Bil- 
dung dieses Gemeinderates kann mit Genehmi- 
gung des Kr A. abgesehen werden, wenn die 
Gemeindevertretung nach zweimaliger, mit 
einem Zwischenraum von mindestens acht Ta- 
gen, vorgenommener Beratung darauf anträgt. 
## den Kleineren Landgemeinden hann durch 
rtsstatut ein kollegialischer Gemeindevor-- 
stand eingeführt werden, der aus dem Bürger- 
meister, einem Beigeordneten als dessen Stell- 
vertreter und zwei Schöffen besteht. Unter 
„Gemeindevorstand“ wird in Gemeinden mit 
kollegialischem Gemeindevorstande der Ge- 
meinderat, in den übrigen Gemeinden der 
Bürgermeister verstanden (LGO. 88 45, 40). 
In Landgemeinden mit mehr als 1200 Einw. 
kann die Gemeindevertretung die Wahl eines 
besoldeten Bürgermeisters beschließen. Die 
Wahl erfolgt alsdann auf die Dauer von 
zwölf Jahren und ist nicht auf Gemeinde- 
glieder beschränkt. Im übrigen wird der 
Bürgermeister auf acht Jahre gewählt, der 
Beigeordnete und die Schöffen auf sechs Jahre. 
Vater und Sohn, Schwiegervater und Schwie- 
gersohn, Großvater und Enkel, Bruder und 
Schwager dürfen nicht gleichzeitig Bürger- 
meister, Beigeordneter und Schöffe sein. Die 
Aufsichtsbehörde ist jedoch befugt, hiervon 
Ausnahmen zuzulassen. Entsteht die Schwäger- 
schaft im Laufe der Wahlperiode, so scheidet 
derjenige aus, durch welchen das Hindernis 
herbeigeführt worden ist. Das Amt eines 
Beigeordneten und Schöffen ist mit einem be- 
soldeten Gemeindeamte unvereinbar. Personen, 
die das Gewerbe der Gast= und Schanbwirt- 
schaft betreiben, können nicht Bürgermeister 
sein, doch darf die Aufsichtsbehörde Ausnahmen 
zulassen (§ 46). Hinsichtlich der Bestätigung, 
Vereidigung und Entschädigung des Bürger- 
meisters gelten dieselben Vorschriften wie in 
den östlichen Provinzen für den G. (68 55 
bis 59). Auch der Geschäftskreis, die Befugnisse 
und Pflichten sind hier die gleichen wie dort 
(s. o. I). Dasselbe gilt von dem kollegialischen 
Gemeindevorstande (§§ 59—63). Der Bürger- 
meister hat aber außer den Gemeindeangelegen- 
heiten auch die Ortspolizei zu verwalten (vor- 
behaltlich die Bildung gemeinschaftlicher Orts- 
polizeibezirte gemäß LGO. § 64, der Ver- 
waltung einzelner Polizeizweige durch den 
Landrat gemäß Kr O. § 28 und der Vereinigung 
des Gemeindebezirkes mit einem städtischen 
Polizeibezirk gemäß KrO. 8 29), sofern sie 
nicht einer kgl. Behörde übertragen ist (LG. 
§ 63). Mit Genehmigung des Megierungs- 
präsidenten können gewisse Geschäfte des 
Bürgermeisters einem anderen Mitgliede des 
Gemeinderates übertragen werden (LGO. 863). 
VI. In der Prov. Hannover soll nach der 
LöO. vom 28. April 1859 in jeder Gemeinde 
ein Vorsteher und ein Beigeordneter vorhanden 
sein. Größere Gemeinden können mehrere Vor- 
steher und Beigeordnete haben (LGO. 8§ 22). Der 
G. wird aus den Stimmberechtigten, welche 
die für das Stimmrecht Nichtansässiger erfor- 
derlichen Eigenschaften besitzen, von der Ge-
	        
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