Full text: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Erster Band (A-K). (1)

646 Gemeindevorsteher (Mitwirkung usw.) — Gemeindewahlen in Landgemeinden. 
meindeversammlung (loder dem Gemeindeaus- 
schuß) gewählt. Mit Genehmigung des Land- 
rates Rönnen auch Pächter und Verwalter, denen 
ein Stimmrecht in Vertretung der betreffen- 
den Güter zusteht, zum G. gewählt werden 
G 35). Die Bestätigung soll dem Gewählten 
versagt werden, wenn er die zur Wählbarkeit 
nötigen Eigenschaften oder die zum Amt nötige 
Befähigung nicht besitzt. Sie kann versagt 
werden, wenn er wegen geringerer Verbrechen, 
oder der zum Verlust des Stimmrechtes 
führenden in Untersuchung gewesen ist, ohne 
völlig freigesprochen oder außer Verfolgung 
gesetzt zu sein oder mit Gefängnis bestraft 
worden ist, sowie wegen naher Verwandt- 
schaft unter den Gemeindebeamten. Tritt 
nach Antritt des Amtes einer dieser Mängel 
ein, so muß es niedergelegt werden. Gast- 
und Schanbwirte sind in der Regel nicht als 
G. zuzulassen (LG O. 88 26—29; KrO. 8 31). 
Die G. und Beigeordneten sind auf mindestens 
sechs und höchstens zwölf Jahre zu wählen. 
Innerhalb dieser Grenzen wird die Dienstzeit 
durch Gemeindebeschluß festgesetzt. Werden 
mehrere Vorsteher oder Beigeordnete gewählt, 
so find ihre Geschäfte näher zu bestimmen. 
Der Vorsteher hat die Gemeindeangelegenheiten 
zu verwalten und die Gemeinde zu vertreten, 
die Ordnung in ihr zu handhaben, die Ur- 
kunden der Gemeinde mit den Beigeordneten 
zu vollziehen, die Gemeindelade mit den der 
Gemeinde gehörigen Schriften und sonstigen 
Gegenständen aufzubewahren, das Gemeinde- 
vermögen zu verwalten, die Gemeindeabgaben 
und Dienste zu verteilen, die Gemeinderechnung 
zu führen und den etwa angestellten Rech- 
nungsführer zu beaufsichtigen. Ist ein Etat 
nicht aufgestellt, so darf der G. ohne besondere 
Bewilligung der Gemeindeversammlung nur 
solche Ausgaben machen, die sowohl hinsichtlich 
der Verpflichtung an sich als auch hinsichtlich 
ihres Maßes feststehen. Der Erlaß von Ge- 
meindeabgaben und sonstigen Verbindlichkeiten 
kann nur mit Genehmigung der Gemeinde- 
versammlung erfolgen. In den nach der Ld. 
verwalteten Städten können über die Wahl 
und Dienstzeit des Vorstandes durch Gemeinde- 
statut besondere Bestimmungen getroffen wer- 
den (MBek. vom 28. April 1859 — HannG. 
409 — §8§ 29—41, 61—63). Im übrigen sind 
die Befugnisse und Pflichten des G. im wesent- 
lichen dieselben, wie in den östlichen Provinzen 
(s. o. L). Insbesondere ist er auch Organ der Orts- 
polizeibehörde (des Landrates) für die Polizei- 
verwaltung. Jedoch hat er, sofern nicht die 
Polizeiverwaltung im Gemeindebezirk einer 
städtischen Ortspolizeibehörde übertragen ist, 
gewisse ortspolizeiliche Rechte und Pfllichten 
selbständig wahrzunehmen. Es sind dies die 
gutachtliche Außerung über Gesuche um Er- 
laubnis zum Betriebe der Gastwirtschaft, 
Schankwirtschaft und des Rleinhandels mit 
Branntwein oder Spiritus, ferner die Er- 
hebung der Klage auf Untersagung der in 
den 8 33 A, 35, 37. 42 b, 53 Abs. 3 und 59a 
GewO. bezeichneten Gewerbe und auf Zurück- 
nahme der dort in den §§ 33, 33 a, 34, 42b 
Abs. 1 bezeichneten gewerblichen Konzessionen, 
und endlich die ortspolizeilichen Geschäfte hin- 
  
  
sichtlich der Ersatzgeldansprüche und der Pfän- 
dung von Tieren gemäß §§ 69—88 des Feld- 
und Forstpolizeigesetzes vom 1. April 1880 
(rO. 8§8 34, 35). Seine Stellung in der 
Gemeindeverwaltung ist insofern eine selb- 
ständigere wie in den östlichen Provinzen, 
als er nur diejenigen Angelegenheiten der 
Beschlußfassung der Gemeindeversammlung zu 
unterbreiten verpflichtet ist, binsichtlich deren 
diese Beschlußfassung ausdrücklich im Gesetze 
vorgeschrieben ist. 
VII. In den Hohenzollernschen Landen 
ist nach der Gem O. vom 2. Juli 1900 die 
Stellung des dort Bürgermeister genannten 
G. in der Hauptsache die gleiche, wie in der 
Prov. Hessen-Aassau (s.o. V). In Gemeinden von 
mehr als 300 Einw. wird ein kollegialischer 
Gemeindevorstand (Gemeinderat) gebildet, 
von dessen Einsetzung aber unter denselben Vor- 
aussetzungen wie dort abgesehen werden darf. 
In kleineren Gemeinden kann ein kolle- 
Lalischer Gemeindevorstand gebildet werden. 
er Bürgermeister und der Beigeordnete 
werden in Gemeinden von nicht mehr als 
1000 Einw. von sämtlichen Stimmberechtigten, 
in den übrigen Gemeinden von der Gemeinde- 
vertretung gewählt. Die Wahl eines besol- 
deten Bürgermeisters kann schon in Gemeinden 
mit mehr als 1000 Einw. erfolgen. Auch hin- 
sichtlich der Geschäfte des Bürgermeisters und 
des kollegialischen Gemeindevorstandes gelten 
im wesentlichen dieselben Vorschriften, wie in 
Hessen-ôAassau (Gem. 54 55, 64—7190. 
Gemeindevorsteher (Mitwirkung bei Ent- 
scheidung gewerblicher Streitigkeiten). In 
den Gemeinden, für die ein Gewerbe= oder 
Kaufmannsgericht (s. d.) nicht besteht, Kann der 
G. auf Anrufen jeder Partei Streitigkeiten, 
für deren Entscheidung die Gewerbe= oder 
Kaufmannsgerichte zuständig sind, vorläufig 
entscheiden. Den Parteien ist Gelegenheit zu 
geben, ihre Ausführungen und Beweismittel 
in einem Termine vorzubringen. Beweisauf- 
nahmen durch Ersuchen anderer Behörden 
finden nicht statt, ebensowenig sind Vereidi- 
gungen zulässig. Die Entscheidung ist schrift- 
lich abzufassen und geht in Rechtskraft über, 
wenn nicht binnen einer Motfrist von zehn 
Tagen von einer Partei Klage bei dem ordent- 
lichen Gerichte erhoben wird. Die Vollstrechung 
der Vergleiche und Entscheidungen erfolgt im 
Verwaltungszwangsverfahren (Gewe G. 88 76 
bis 80 — 5 1901, 353; G., betr. Kauf- 
mannsgerichte, vom 6. Juli 1904 — RöBl. 266 
— 8 19). 
Gemeindewahlen in Landgemeinden.]I All- 
gemeines. Während in den Stadtgemeinden 
die Ausübung eines Wahlrechts durch die 
Gemeindeglieder in der Regel ausschließlich 
zum Zwecke der Bildung der Stadtverord- 
netenversammlung erfolgt, ist in den Land- 
gemeinden überall zu unterscheiden zwischen 
den Wahlen der Gemeindeverordneten in den 
Gemeinden, in denen eine Gemeindevertre- 
tung besteht, und den Wahlen des Gemeinde- 
vorstehers und der Schöffen. In jenen Gemein- 
den erschöpft sich das Wahl= und Stimmrecht der 
Gemeindeglieder und sonstigen Stimmberechtig- 
ten mit den Wahlen der Gemeindeverordneten,
	        
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