Full text: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Erster Band (A-K). (1)

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über Katholiken) jede bürgerliche Wirksamkeit 
verloren hat, jetzt allein dem Staate zu und 
zerfällt in die Justizverwaltung, d. i. die Für- 
sorge für die Rechtopflege (s. Justizverwal- 
tung), und in die G. im engeren Sinne oder 
die Rechtspflege selbst (im § 1 GV. richter- 
liche Gewalt genannt). Die letztere ist entweder 
streitige (jurisdictio contentiosa) oder nicht 
streitige, freiwillige G. (jurisdictio voluntaria). 
Die streitige ist entweder Strafgerichtsbarkeit, 
Zivilgerichtsbarkeit (Entscheidung bürgerlicher 
Rechtsstreitigkeiten) oder Verwaltungsgerichts- 
barkeit. Die Verwaltungsgerichtsbartkeit (s. 
Verwaltungsstreitverfahren IU) unter- 
scheidet sich von der Zivilgerichtsbarkeit und 
der freiwilligen G. dadurch, daß sie es grund- 
sätzlich mit öffentlichrechtlichen Verhältnissen 
zu tun hat, nicht mit privatrechtlichen wie jene 
beiden. Dabei ist der Anspruch als solcher 
nicht maßgebend. Auch die Verfolgung eines 
auf einem öffentlichrechtlichen Titel beruhenden 
Anspruchs kann eine bürgerliche Rechtsstreitig- 
keit darstellen. Es kommt darauf an, ob es 
sich um einen Gegenstand des böffentlichen 
Interesses, des Gemeinwohls, oder um das 
Rechtsgut und die individuelle Rechtssphäre 
einer einzelnen, sei es physischen, sei es juri- 
stischen Person handelt (Re# Z. 57, 352). Die 
Zivilgerichtsbarkeit und die freiwillige G. 
unterscheiden sich dann begrifflich wieder von- 
einander dadurch, daß die erstere die Durch- 
setzung und den Schutz aus dem materiellen 
Zivilrechte sich ergebender subjektiver Rechte 
gegenüber ihrer MDichtanerkennung, die letztere 
die Gestaltung von Privatrechten zum Gegen- 
stande hat. Die Zivilgerichtsbarkeit setzt daher 
das Vorhandensein oder das Drohen eines 
dem subjektiven Rechte nicht entsprechenden 
Zustandes voraus und findet zugunsten des 
Berechtigten gegen diesenige bestimmte Person 
statt, die den vorhandenen oder drohenden 
Zustand des Unrechts verursacht hat. Die 
freiwillige G. will dagegen die Möglichkeit 
ungestörter Betätigung von Rechten gewähren. 
Praktisch ist jedoch für die Abgrenzung beider 
Arten von G. das positive Recht maßgebend. 
Von diesem bestimmen allerdings das G., 
die ZPO. und das FG#. weder den Begriff 
der Zivilgerichtsbarkeit oder einer bürgerlichen 
Bechtsstreitigkeit noch den der freiwilligen G. 
Es sind aber dafür, ob eine Angelegenheit 
hierhin oder dorthin gehört, die einzelnen 
positiven Bestimmungen entscheidend, d. h. sie 
gehört ur Zivilgerichtsbarkeit, wenn sie in 
der 3P0O. nebst deren Ergänzungsgesetzen, be- 
sonders also der KLO. und dem 3VG., geregelt 
ist, mag sie auch theoretisch zur freiwilligen G. 
zu rechnen sein, wie das Entmündigungs= und 
das Aufgebotsverfahren (3P. 88 645 ff., 946 ff. 
und die Beurkundung von Vergleichen im 
amtsgerichtlichen Sühneverfahren (IP. 8 510), 
dagegen zur freiwilligen G., wenn sie im 
FGG. und dessen Ergänzungsgesetzen, besonders 
der GB., geregelt ist, obwohl es sich dabei 
um die Geltendmachung bestrittener oder ge- 
fährdeter Rechte handelt, wie z. B. um die 
Entscheidung von Streitigheiten zwischen Ehe- 
gatten nach §§ 1357, 1379, 1635, 1636 BE. 
oder zwischen Eltern und Kindern nach 8§8 1308, 
  
Gerichtsbeamte — Gerichtshof zur Entscheidung der Kompetenzkonflikte. 
1612 BöB. Als Inzidentpunkte sind stets 
von den Zivilgerichten trotz der Beschränkung 
ihrer Zuständigkeit auf bürgerliche Rechts- 
streitigkeiten ohne präjudizielle Wirkung für 
die Verwaltungsinstanzen Fragen des öffent- 
lichen Rechtes behufs der Findung ihres Urteils 
über den streitigen Privatrechtsanspruch mit 
zu entscheiden, wie andererseits auch die Ver- 
waltungsgerichte Inzidentpunkte privatrecht- 
licher Art, von deren Beantwortung die Ent- 
scheidung der öffentlichrechtlichen Streitigkeit 
abhängt, selbständig, wenn schon nur unter der 
leichen entsprechenden Beschränkung (LV. 
7 Abs. 1 Satz 2), in den Bereich ihrer Be- 
urteilung zu ziehen haben. Eine Art von 
Gerichtsbarkeit (sog. Quasijurisdiktion) üben 
auch die Verwaltungs-, namentlich die Polizei- 
behörden aus, wenn sie über Streitigkeiten 
unter den dabei Beteiligten zu entscheiden 
haben, wie dies bei solchen auf dem Gebiete 
des Gewerberechts und des sozialen Versiche- 
rungsrechts, ferner bei bestimmten Streitsachen 
des Gesinderechts, bei den Ersatzgeld= und 
Pfändungsstreitsachen des Feld-- und Forst- 
polizeigesetzes vom 1. April 1880 (GS. 230) 
und den Ersatzansprüchen für Wildschaden nach 
dem G. vom 11. Juli 1891 (GS. 307) der Fall 
ist. S. auch Justiz, Prozeß und Prozeß- 
ordnungen, Militärgerichtsbarkeit und 
wegen der früheren Patrimonialgerichtsbarkeit 
Gutsherrschaften. 
Gerichtsbeamte. Die Gerichts (Justiz-) be- 
amten zerfallen in die Richter und die nicht 
richterlichen Beamten. Sie unterstehen zwar 
sämtlich der Aufsicht des JM. und der Vor- 
stände der Gerichte und Staatsanwaltschaften, 
jedoch sind die ersteren wesentlich selbständiger 
gestellt, auch gelten für sie hinsichtlich der 
Disziplinarbestrafung besondere Vorschriften. 
Wegen der Richter s. Richter und Richter- 
amt. Zu den nicht richterlichen Beamten ge- 
hören die Staatsanwälte (s. Staatsanwalt- 
schaft) sowie die Gerichtsassessoren, Referendare 
(. Richteramt 1 und Subaltern-, Kanzlei- 
und Unterbeamten der Gerichte und Staats- 
anwaltschaften (s. die Artikel Gerichte und 
Staatsanwaltschaft I, sowie die Artikel 
Gerichtsschreiberei und Gerichtsschrei- 
ber, Gerichtsvollzieher, Gerichtliche 
Kassen und Kassenbeamte). Gerichtsper- 
sonen sind außerdem noch die Schiedsmänner, 
Rechtsanwälte und Notare (s. diese Artikeh. 
Gerichtsbehörden s. Gerichte und Ge- 
richtsverfassung. 
erichtsgebrauch s. Gewohnheitsrecht I. 
Gerichtshof zur Entscheidung der Kom- 
peten zoflikte. Das GV. EG 17 Abs. 2) 
hat der Landesgesetzgebung gestattet, die Ent- 
scheidung von Streitigkeiten zwischen den 
Gerichten und den Verwaltungsbehörden oder 
Verwaltungsgerichten über die Zulässigkeit des 
Rechtswegs besonderen Behörden unter Inne- 
haltung der hierfür aufgestellten reichsgesetz- 
lichen Mormativbestimmungen zu übertragen. 
Von dieser Befugnis ist in Preußen Gebrauch 
gemacht worden, und zwar, da schon vorher 
zur Entscheidung von Kompetenzkonflikten ein 
besonderer Gerichtshof bestanden hatte, gemäß 
§ 17 Abs. 2 EG. z. GVE. durch eine kgl. V.,
	        
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