Full text: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Erster Band (A-K). (1)

Gerichtsvollzieher. 
hörden und solcher Institute, denen die Be— 
siuni zur Zwangsvollstrechung zusteht, den 
Vollziehungsbeamten übertragen sind (s. d.), 
die Zwangsvollstrechung in bürgerlichen Rechts- 
streitigkeiten im Auftrage des Gläubigers, so- 
weit sie nicht den Gerichten zugewiesen ist (3P0. 
§ 753), es sich also nicht um eine Zwangsvoll- 
strechkung in das unbewegliche Vermögen, in 
Forderungen und andere Vermögenerechte so- 
wie zur Erwirkung von Handlungen oder Unter- 
lassungen und um gewisse Zwischenfälle bei 
den anderen Zwangsvollstrechungen handelt. 
Außerdem sind sie noch für eine Reihe be- 
stimmter Angelegenheiten zuständig, so beson- 
ders für echselproteste, Siegelungen und 
Entsiegelungen, sowie Aufnahme von Ver- 
mögensverzeichnissen, namentlich Inventaren, 
im Auftrage des Gerichts oder des Konkurs- 
verwalters, von Inventaren auch in dem der 
Generalkommission (G., betr. das Anerbenrecht 
bei Renten-und Ansiedlungsgütern, vom 8. Juni 
1896 — GS. 124 — 8§ 20), und für freiwillige 
Versteigerungen von beweglichen Sachen (ogl. 
hierzu Auktionen 1 2), von Früchten auf 
dem Halme und von Holz auf dem Stamme. 
Weiter sind die G. verpflichtet, Aufträge 
jeder Art, welche ihrer dienstlichen Stellung 
entsprechen und ihnen von den Gerichten oder 
Staatsanwaltschaften erteilt werden, aus- 
zuführen, namentlich Geldbeträge einzufor- 
dern, Haft-, Vorführungs-, Festnahmebefehle, 
Durchsuchungen und Beschlagnahmen auszu- 
führen, Behändigungen mit oder ohne Beur- 
kundung vorzunehmen, Erkundigungen ein- 
zuziehen, schriftliche oder mündliche Witteilun- 
en zu besorgen, auch auf Anordnung des 
Voerömdesgesschtopräsidenten, in dringenden 
Fällen des aufsichtführenden Amtsrichters, die 
Geschäfte eines Gerichtsschreibergehilfen, eines 
Kanzleigehilfen oder eines Unterbeamten zu 
übernehmen. Die gröberen Verrichtungen des 
Gerichtsdieners (Reinigung, Heizung usw.) und 
die Geschäfte des Gefangenaufsehers, soweit es 
sich bei diesen nicht um eine vorübergehende Ver- 
tretung handelt, sind ihnen nicht zu übertragen 
(6 VO. 88 20, 21). Die G. Können armen Parteien 
zur vorläufig unentgeltlichen Bewirkung von 
Zustellungen und Vollstreckungshandlungen 
beigeordnet werden (3PO. 8 115 Ziff. 3; FGG. 
8 14; PrFGG. Art. 1). Endlich können sich die 
Beteiligten der G. zur Zustellung von privat- 
rechtlichen Willenserklärungen (BEG. 8132) und 
auch zu Zustellungen in nicht gerichtlichen Rechts- 
angelegenheiten bedienen. Die für die Tätig- 
keit der G. zu berechnenden Kosten sind durch 
die Gebührenordnung für Gerichtsvollzieher 
in der Fassung vom 20. Mai 1898 (REl. 683), 
die Art. 18—26 des G., enthaltend die landes- 
gesetzlichen Vorschriften über die Gebühren 
der Rechtsanwälte und G. in der Fassung 
vom 6. Okt. 1899 (GS. 381) und die Allg #f. 
vom 8. Dez. 1899 (JMBl. 721) bestimmt; ogl. 
hierzu die 4W vom 16. Febr. 1903 und die 
hiermit bekanntgemachte Zusammenstellung von 
Grundsätzen, betr. den Ansatz der Gebühren und 
Auslagen der G. (IMBl. 86). 
II. Die G. gehören zu den Subaltern- 
beamten. Sie beziehen, nachdem sie früher 
anders gestellt gewesen sind, seit 1900 aber 
  
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wie ehedem schon in Sachsen, Lübeck und 
einigen kleinen deutschen Bundesstaaten, auch 
in Preußen — ebenso in Bayern — das Ge- 
richtsvollzieherwesen als eine rein staatliche 
Einrichtung organisiert worden ist, ein festes 
Gehalt und den gesetzlichen Wohnungsgeld- 
zuschuß und sind pensionsberechtigt. Ihre 
Gebühren und baren Auslagen werden zwar 
von ihnen selbst erhoben, fließen aber zur 
Staatskasse, bei Parteiaufträgen werden ihnen 
jedoch die Gebühren zum Teil und die baren 
Auslagen ganz überlassen (GVO. 88 22, 23). 
Für die Erledigung von amtlichen Aufträgen 
erhalten sie zum Ersatz ihrer baren Auslagen 
eine Entschädigung, und für die Erhebung 
von Kosten, Geldstrafen und anderen dem 
Staate gebührenden Geldbeträgen eine be- 
sondere Vergütung (GV0O. 8 24 Abs. 2; AllgVf. 
vom 6. Jan. 1903 — JMBl. 8). 
III. Zum Gerichtsvollzieher kann nur 
ernannt werden, wer, abgesehen von ver— 
schiedenen anderen Erfordernissen (Vollendung 
des 25. Lebensjahres usw.), eine Prüfung be— 
standen hat, von der jedoch diejenigen befreit 
sind, welche die Gerichtsschreiberprüfung be— 
standen haben. Der Prüfung muß ein min— 
destens sechsmonatiger Vorbereitungsdienst vor- 
angehen. Die Ernennung zum G. erfolgt durch 
den Präsidenten des Oberlandesgerichts auf 
Lebenszeit (GVO. 8§8 1—13). Die Gerichts- 
vollzieherstellen sind den Militäranwärtern 
ausschließlich vorbehalten (Allg Vf. vom 27. Dez. 
1895 — JMl. 1896, 4). Die Anstellung findet 
bei den Amtsgerichten statt unter Voraus- 
bestimmung eines ständigen Vertreters und, 
falls nicht bei einem Amtsgerichte nur ein G. 
bestellt ist, wo dann der Amtsgerichtsbezirk 
den Gerichtsvollzieherbezirk bildet, unter Zu- 
weisung eines örtlich abgegrenzten Bezirkes. 
Ausnahmsweise kann auch eine andere Art 
der Geschäftsverteilung, besonders nach ein- 
zelnen Geschäftsgattungen, erfolgen. Die Aus- 
führung solcher Aufträge, welche ohne Gefähr- 
dung der Parteirechte #heinen Aufschub ge- 
statten, ist an die Geschäftsverteilung nicht 
gebunden. Die Gültigkeit einer Amtshand- 
lung wird dadurch niemals berührt, daß sie 
von einem anderen als dem nach der Geschäfts- 
verteilung zuständigen G. vorgenommen wor- 
den ist (GVO. 8§§ 17, 18). Bei jedem Amts- 
gerichte, für dessen Bezirk mehrere G. bestellt 
sind, wird zur Entgegennahme von Parteiauf- 
trägen eine Verteilungsstelle für Gerichtsvoll- 
zieheraufträge eingerichtet, deren Geschäfte einem 
oder mehreren Gerichtsschreiberbeamten über- 
tragen werden. Die Befugnis der Parteien, 
ihre Aufträge dem zuständigen G. unmittelbar 
zu erteilen, bleibt hiervon unberührt. Die Ver- 
teilungsstelle ist verpflichtet, dem Bechtsuchen- 
den auf Erfordern den zuständigen G. zu be- 
geichnen (GVO. 8§ 49). Die G. haben eine 
ienstkleidung zu tragen und müssen an ihrem 
amtlichen Wohnsitz ein Geschäftslokal halten; 
beides haben sie auf eigene Kosten zu be- 
schaffen (Gerichtsvollzieherordnung §#§ 26, 27). 
IV. Im Falle einer erforderlichen Aus- 
bilfe oder Vertretung Bönnen mit der 
einstweiligen Wahrnehmung von Gerichtsvoll- 
ziehergeschäften in Ermangelung solcher Per- 
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