Full text: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Erster Band (A-K). (1)

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Zuziehung bedarf es jedoch nicht, wenn, weil 
ein Beteiligter taub, blind, stumm oder sonst 
am Sprechen verhindert ist, bereits vom Richter 
usw. ein Gerichtsschreiber oder zwei Zeugen, 
vom Notar ein zweiter Notar oder zwei Zeugen 
zugezogen worden sind. Das gleiche gilt, wenn 
in anderen Fällen ein Gerichtsschreiber oder 
ein zweiter Notar zugezogen wird (FGO. § 177 
Abs. 2, AG. z. BGB. Art. 12 § 4). Die Er- 
Rklärung, nicht schreiben zu können, muß von 
dem Beteiligten selbst abgegeben und kann 
nicht durch die Bezeugung der Urkunds- 
person ersetzt werden (KGJ. 20 A, 130; 26f, 
42; 29 A, 248). Sie ist entscheidend, auch wenn 
sie der Wahrheit nicht entspricht. Für den Be- 
weis durch Privaturkunden erfordern die 8§§ 416, 
440 ZP0O. die gerichtliche oder notarielle Be- 
glaubigung des Handzeichens (s. Urkunden- 
beweis I1). 
Anatomische Museen. Bei Erteilung von 
Wandergewerbescheinen zu a. M., Panoptiken, 
Wachsfigurenkabinetten usw., welche ihrer Zu- 
sammensetzung und Zwechbestimmung nach 
höheren Interessen der Wissenschaft nicht dienen, 
sowie bei der Ausdehnung solcher in anderen 
Bundesstaaten ausgestellten Wandergewerbe- 
scheine ist auf der für handschriftliche Ein- 
tragungen freigelassenen Stelle des Wander- 
ewerbescheins darauf hinzuweisen, daß die 
urschaustellung von VLachbildungen, welche 
das Schamgefühl verletzen, nicht gestattet ist 
(AusfAnw. z. GewO. vom 1. Mai 1904 — 
HMBl. 123 Ar. 68). Wegen des stehenden 
Gewerbebetriebes s. ME. vom 21. Febr. 1887 
(MBl. 65). 
Anbaufähige Straßen s. Straßen= und 
Baufluchtliniengesetz u. III. 
Anderung von Familiennamen s. Fami- 
liennamen III. 
Anderung der Klage. Die Klage ((. d.) 
bestimmt den Gegenstand des Rechtsstreits, 
und der Kläger ist für diesen Rechtsstreit an 
den dadurch erhobenen Anspruch gebunden. 
Andererseits muß eine unnütze Vervielfältigung 
der Prozesse vermieden werden. Deshalb sind 
nach der Zivilprozeßordnung zwar eine Be- 
richtigung oder Ergänzung der tatsächlichen 
Anführungen der Klage, eine Erweiterung 
oder Beschränkung des Klageantrags in der 
Hauptsache oder in bezug auf Nebenforderungen 
und die Forderung eines anderen Gegenstandes 
oder des Interesses statt des ursprünglich ge- 
forderten Gegenstandes wegen einer später 
eingetretenen Veränderung stets zulässig. Da- 
gegen ist eine sonstige Anderung der Klage 
nur beschränkt statthaft, nämlich nach dem 
Eintritte der Rechtshängigkeit, d. i. nach der 
Zustellung der Klage, nur, wenn der Behklagte 
einwilligt, oder wenn nach dem Ermessen des 
Gerichts durch die Anderung die Verteidigung 
des Beklagten nicht wesentlich erschwert wird, 
und in den höheren Instanzen nur mit Ein- 
willigung des Gegners (3P0O. 88 264, 268 
bis 271, 527). 
Im Strafprozesse besteht wegen der 
Untersuchungsmaxime überhaupt Rein Verbot 
der Klageänderung. Die anhängig gemachte 
Sache Rkann unter ganz anderen Gesichts- 
punkten, als die Klage geltend gemacht hatte, 
  
Anatomische Museen — Anerbenrecht. 
abgeurteilt werden (St PO. 88 153, 264); die 
Grenze hierfür ist erst die, daß nicht an Stelle 
der anhängig gemachten Strafsache über eine 
ganz andere entschieden werden darf, die eben 
gar nicht anhängig ist. 
Für die preußische Verwaltungsklage 
gilt, daß die tatsächlichen und rechtlichen An- 
führungen in ihr in allen Instanzen — in 
der Revisionsinstanz nach erfolgter Aufhebung 
der Vorentscheidung — ergänzt oder berichtigt 
werden dürfen, daß die Klage aber abgeän- 
dert werden kRann, nur insofern, als durch die 
Abänderung nach dem Ermessen des Gerichts 
das Verteidigungsrecht der Gegenpartei nicht 
geschmälert oder eine erhebliche Verzögerung 
des Verfahrens nicht herbeigeführt wird, und 
in den höheren Instanzen gar nicht mehr, auch 
nicht mit Einwilligung des Gegners (LV. 
§§ 71 Abs. 2, 92 Abs. 1, 95 Abs. 1). 
Wann eine Anderung der Klage vorliegt, 
ist wie im Zivil= so auch im Verwaltungs- 
prozesse bei dem Mangel einer positiven ge- 
setzlichen Bestimmung darüber, was als Ande- 
rung der Klage anzusehen sei, oft sehr zweifel- 
haft. Als Grundsatz muß gelten, daß, solange 
der Tatbestand, aus dem der Anspruch herge- 
leitet wird, der Klagegrund (s. Klage), seinem 
rechtlichen Wesen nach unverändert bleibt, 
keine Klageänderung vorhanden ist. Für das 
Verwaltungsstreitverfahren wird eine Klage- 
änderung bei jeder Erweiterung des Klage- 
antrags angenommen dies gilt auch für Klagen 
auf Vorausleistungen zum Wegebau (O#. 
46, 300). Ist die Klageänderung zulässig, 
so ist an Stelle der ursprünglichen Klage nur 
über die geänderte Klage zu entscheiden. Im 
anderen Falle muß noch über die ursprüngliche 
Klage entschieden werden, wenn nicht in der 
Klageänderung zugleich ein zulässiger Ver- 
zicht auf den erhobenen Anspruch oder eine 
zulässige Klagezurüchnahme zu finden ist. 
Androhungvon Zwangsmitteln s. Zwangs= 
mittel III. 
Anerbe. A. ist dersenige von mehreren Mit- 
erben, der berechtigt ist, ein zum Nachlasse 
gehörendes Landgut ungeteilt zu einem er- 
mäßigten Wertanschlage zu übernehmen. S. An- 
erbenrecht. 
Anerbenrecht. I. Begriff. Das A. ist 
ein Sonderrecht für den ländlichen 
Grundbesitz, nach welchem bei Vorhandensein 
mehrerer Erben ein zum Nachlasse gehörendes 
Gut ungeteilt auf einen Miterben, den An- 
erben, übergeht und diesem bei der Ausein- 
andersetzung mit den übrigen Miterben zu 
einem der Leistungsfähigkeit des Gutes an- 
gepaßten, regelmäßig hinter dem gemeinen 
Werte zurüchbleibenden Preise angerechnet wird. 
Einzelerbfolge, Geschlossenheit und mäßige 
Bewertung des Grundbesitzes sind demnach 
die wesentlichen Merkmale des A., die es 
von dem heute geltenden gemeinen Erbrecht 
unterscheiden, das grundsätzlich jedem Miterben 
das Recht gibt, die Auseinandersetzung auch 
hinsichtlich des zum Nachlasse gehörenden 
Grundbesitzes, insbesondere dessen Teilung in 
Ratur, zu verlangen, oder, falls letztere nicht 
ohne Verminderung des Wertes möglich ist, 
die Aufhebung der Gemeinschaft durch Zwangs“ 
 
	        
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