Full text: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Erster Band (A-K). (1)

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der Rittergutsbesitzer. Hiermit wurden sie die 
Gutsherrschaft der betreffenden Bauern- 
gemeinden, deren Angehörige als ihre Unter- 
tanen oder Hintersassen bezeichnet wurden. 
Während sich die G. besonders in der Mark, 
wo die Rittergüter in der Regel nur 4—6 
Hufen (s. d.) groß waren, auf dieser Grund- 
lage entwickelte, wurden den Rittern bei der 
Besiedelung Pommerns, Schlesiens und 
des deutschen Ordenslandes von dem 
Landesherrn weit umfangreichere Besitzungen 
verliehen, auf denen sie selbst Dörfer gründen 
und Ansiedler ansetzen durften. Uber diese 
stand ihnen dann in gewissem Umfange das 
ursprüngliche landesherrliche Hoheitsrecht der 
Gerichtsbarkeit zu. Infolgedessen bildete sich 
die Gutsherrlichkeit überall in Deutschland 
zu einer Einrichtung des öffentlichen 
echts aus, während der Begriff der 
Grundherrlichleit mehr die privatrecht- 
lichen Beziehungen zwischen dem Gutsbesitzer 
als Obereigentümer und den Bauern als In- 
haber des nutzbaren Eigentums an dem mit 
Abgaben an den Grundherrn belasteten Grund- 
stück umfaßte. Unter der „Gerichtsbar- 
keit“ des Gutsherrn ist hierbei nicht nur die 
Befugnis zur Rechtsprechung, sondern ein in- 
haltlich viel weiteres obrigkeitliches Verhältnis 
u verstehen, das auch die Ausübung der 
rtspolizei, den Schutz und die Unter- 
stützung der Untertanen in Notfällen (Vogtei 
und Advokatie) und eine Reihe von nutz- 
baren Rechten gegenüber jenen und ihrem 
Grundbesitz in sich schloß (besonders Jagdrecht, 
Fischereirecht, gewisse gewerbliche Zwangs- 
und Bannrechte, wie Brauerei, Brennerei, 
Krugverlag mit Getränken). Der Umfang, in 
welchem diese Befugnisse den einzelnen G. 
zustanden, war nicht immer der gleiche und 
richtete sich hauptsächlich nach den Bestimmungen 
der Verleihungsurkunden, mit denen sie ihr 
Gut erhalten hatten. Als im Laufe der Zeit 
mehrere von den Befugnissen der alten Ge- 
richtsbarkeit anderen Behörden übertragen 
worden waren, bestand die sog. Gerichtsbarkeit 
der Gutsherren oft nur noch in der orts- 
obrigkeitlichen Gewalt über die Gutsunter- 
tanen auf dem Gebiete der allgemeinen Staats- 
verwaltung. JFür die Frage, ob ein Gut ehe- 
mals ein herrschaftliches gewesen ist, kommt 
es daher wesentlich nur darauf an, ob seinem 
Besitzer die Ortsobrigkeit, aber nicht ob ihm 
auch die Kriminal= und Zivilgerichtsbarkeit 
zugestanden hat, die allerdings den meisten 
ittergütern als Patrimonialgerichtsbar- 
keit verliehen worden war. 
II. Die Gutsherrlichleit Kkam zwar den 
Rittergütern stets zu, aber nicht ihnen aus- 
schließlich. Sie war vielmehr bisweilen auch 
mit dem Besitze anderer Landgüter ver- 
bunden, dann aber gewöhnlich in der Be- 
schränkung auf den eigenen Besitz des Guts- 
herrn, nicht auch gegenüber einer Bauern- 
gemeinde. Gegen Ende des 17. Jahrh. be- 
standen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, 
auf dem platten Lande neben den landesherr- 
lichen Domänen nur gutsherrliche Gebiete 
(Dominien) als kleinste Einheiten der Ver- 
waltungs= und Gerichtsorganisation, innerhalb 
  
Gutsherrschaften. 
deren die Dorfgemeinden eine politisch un- 
selbständige Stellung wirtschaftlicher Sozietäten 
hatten (ovgl. O. 37, 157). Außer der Guts- 
herrlichteit privater Grundbesitzer gab es 
noch eine Gutsherrlichkeit des Landesherrn, 
nämlich auf den Gütern, die der Landesherr 
behufs Bestreitung seiner Bedürfnisse und der 
Ausgabe der Landesverwaltung in seinem Be- 
sitz behalten oder später erworben hatte und 
durch seine Beamten wirtschaftlich nutzen ließ, 
und ferner auf den Gütern, an denen er den 
privatrechtlichen Besitz ohne Ubertragung der 
herrschaftlichen Rechte über das Gut und seine 
Bewohner veräußert hatte. In beiden Fällen 
verblieb dem Landesherrn über diesen Grund- 
besitz die Stellung des Gutsherrn. 
III. Aus den Gütern, in welchen Privatguts- 
herren die G. zustand, haben sich später die 
Privatgutsbezirke, aus denen, in welchen 
der Landesherr auch Gutsherr war, die fis- 
RKalischen Gutsbezirke entwickelt (s. Guts- 
bezirkelh. Die jetzigen Gutsbezirke umfassen 
aber nicht das ganze Gebiet der ehemaligen 
G. Während dieses auch das Dorf und die 
Feldmark der zum Gute gehörigen Bauern 
einschloß, Gut und Landgemeinde also nicht 
zwei nebeneinander bestehende obrigkeitliche 
Bezirke, sondern ein einziges Herrschaftsgebiet 
darstellten, entstand der jetzige Gutsbezirk aus 
dem Gegensatze heraus, in den der Grund- 
besitz des Gutsherrn zu dem bäuerlichen trat 
(sl. Gutsherrlich-bäuerliche Regulie- 
rungen). Die herrschaftlichen und die bäuer- 
lichen Grundstücke lagen vielfach innerhalb 
derselben Feldmark im Gemenge. Eine feste 
Unterscheidung wurde zwischen beiden Arten 
von Grundbesitz durch die Einführung von 
staatlichen Grundsteuern bewirkt, welche nur 
die bäuerlichen Grundstücke belasteten (kon- 
tribuable und steuerfreie Acker). Uber den 
Wandel, der zwischen gutsherrlichem (Ritter- 
acher, Vorwerksland) und bäuerlichem 
Besitz (Rustikaläcker) häufig eintrat, über 
die dann später erfolgende Trennung beider 
Arten von Grundbesitz durch das Verbot des 
„Legens“ der Bauern und über die Voraus- 
setzungen, unter denen Grenzveränderungen 
zulässig waren, s. Gemeindebezirke U, 
über die spätere Beseitigung der Gutsunter- 
tänigkeit s. Gutsherrlich-bäuerliche 
Regulierungen. Durch diese wurde die 
persönliche Erbuntertänigkeit der Bauern 
mit den aus ihr fließenden Verpflichtungen 
aufgehoben, jedoch blieb die dem öffentlichen 
Rechte angehörende obrigkeitliche Gewalt 
der Gutsherren über ihre Hintersassen und die 
von ihnen bewohnten Dörfer bestehen, ins- 
besondere die gutsherrliche Polizei und Ge- 
richtsbarkeit. Ebenso verblieben den Guts- 
herren andererseits die Verpflichtungen, die 
sie namentlich auf dem Gebiete der Schul- 
unterhaltung ihren Hintersassen gegenüber 
hatten. Durch G. vom 2. Jan. 1849 (GS. 1) 
wurde die Patrimonialgzerichtsbarkeit der 
Gutsherren aufgehoben, durch die KrO. vom 
13. Dez. 1872 auch die gutsherrliche Polizei. 
Die G. besitzen hiernach setzt gegenüber den 
Landgemeinden keine obrigkeitlichen Befug- 
nisse mehr, sondern haben solche nur noch
	        
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