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gewohnheitsrecht unter dem Namen Handels-
gebräuche oder Handelsusancen zusammenge-
faßt, hat gegenwärtig nur noch die Bedeutung,
daß sie ein wichtiges Auslegungsmittel für
das rechtsgeschäftlich Gewollte ist und im Ge-
biete des nachgiebigen Rechts die gesetzliche
Regel zwar nicht abschaffen, aber tatsächlich
ußer Anwendung setzen kann.
tnßbvsbr Bei I. Handel im engsten
Sinne ist der gewerbsmäßige Einkauf von
Waren zum Wiederverkauf. Der Begriff H.
im Sinne der GewO. umfaßt nicht nur den
Groß= und Kleinhandel einschließlich des
Hausierhandels, sondern auch den Geld= und
redithandel. Ferner gehören dazu die Leih-
anstalten, der Zeitungsverlag, die sog. Hilfs-
gewerbe des Handels, Spedition, Kommission
und das Handelslager. Auch die Tätigkeit des
in den Kontoren der Fabriken, Werkstätten uso.e
beschäftigten Personals fällt darunter (Erl. vom
16. Nov. 1891 — MI.Rl. 1892, 73). Zum H. ge-
hört auch der Meß= und Marktverkehr (s. d.),
doch finden auf ihn die Bestimmungen über die
Sonntagsruhe (s. d. im Handelsgewerbe)
keine Anwendung (Ausf Anw. z. GewO. vom
1. Mai 1904 — OMll. 123 — Ziff. 87). Die
Abgrenzung des Begriffs H. gegenüber dem
Gewerbebetrieb ist für die Durchführung der
Sonntagsruhe von besonderer Bedeutung.
Hierbei ist in sedem Falle zu unterscheiden, ob
die Tätigkeit dem Gewerbebetrieb oder dem
H. zuzurechnen ist. Das Austragen von Waren,
die im Laden gekauft sind, ist als Beschäftigung
im H. anzusehen, während das Austragen von
Waren, die in der Werkstätte angefertigt sind,
zum Gewerbebetriebe zu rechnen ist (KGJ.
16, 448). Gewerbegehilfen (s. d.), welche in
einem mit einem Frachtfuhrgeschäfte verbunde-
nen Speditionsgeschäfte mit Kontorarbeiten
beschäftigt werden, sind im H. beschäftigt (KGJ.
17, 429). Der Verkauf selbstgewonnener Milch
in offener Verkaufsstelle (s. d.) oder im Um-
herziehen (s Gewerbebetrieb im Umher-
ziehen) durch einen Landwirt gehört zum H.,
nicht aber die Lieferung selbstgewonnener Milch
auf Bestellung ohne Einrichtung einer offenen
Verkaufsstelle (K GF. 16, 388). Die Beschäfti-
gung von Arbeiterinnen mit dem Garnieren
von Damenhüten in der hierzu bestimmten Ar-
beitsstube, welches nicht zur sofortigen Be-
friedigung der Kunden an den von diesen be-
stellten Hüten vorgenommen wird, gehört zum
Gewerbebetriebe (&J. 17, 431). Die Be-
schäftigung von Arbeiterinnen mit Herstellung
der im Laden feilgehaltenen Waren in der
neben demselben belegenen Arbeitsstube Fült
als Beschäftigung im Gewerbebetriebe (K#.
16, 446). Die Anfertigung von Kleidungs-
stüchen auf Bestellung ist als Ausübung des
Schneidergewerbes und nicht des H. anzusehen.
Werden beim Ladenverkaufe fertiger Kleidungs-
stüchke Anderungs= und Zurichtungsarbeiten
vorgenommen, so ist die Beschäftigung mit
diesen Arbeiten als Beschäftigung im H. zu be-
trachten (Erl. vom 14. Aug. 1902 — HMl.
325; AusfAnw. z. Gew. Ziff. 142). Ein Ets-
fabrikant, welcher seinen Kunden das von ihnen
bestellte Kunsteis zufahren läßt, betreibt Rkein H.
(80J. 15, 324). Die Beschäftigung von Gehilfen
Handelsgewerbe — Handelskammern.
eines Handelsgärtners in der Gärtnerei selbst
mit den zur Erhaltung der Pflanzen notwen-
digen Arbeiten ist Keine Beschäftigung im H.
(KGJ. 15, 322). Der von Gast= und Schank-
wirten betriebene Verkauf über die Straße von
Branntwein, Wein, Bier, Zigarren, Konditor-
waren, Wurst, Delikateßwaren, kaltem Auf-
schnitt gehört zum H., der Verkauf von zube-
reiteten Speisen dagegen zum Gewerbebetriebe
der Köche (KGJ. 14, 380; AusfAnw. z. Gew.
Ziff. 138). Die Beschäftigung von Kindern im H.
unterliegt besonderen Bestimmungen (s. RKinder
in gewerblicher Beziehung lV). Im Sinne
der Vorschriften über die Honntageruhe gehört
zum H. auch der Betrieb der Konsum= und
anderer Vereine (GewO. § 105b Abs. 3). So-
weit der Betrieb des H. in offenen Verkaufs-
stellen stattfindet, gelten auch für den Laden-
schluß an Werktagen und für den Schutz der
Angestellten besondere Vorschriften (s. Offene
Verkaufsstellen). Das H#. rechnet zum
H. jeden Gewerbebetrieb, der die Anschaffung
und Weiterveräußerung von beweglichen Sachen
(Waren) oder Wertpapieren, ohne Unterschied,
ob die Waren unverändert oder nach einer
Bearbeitung oder Verarbeitung weiter ver-
äußert werden; die Ubernahme der Bearbeitung
oder Verarbeitung von Waren für andere, so-
fern der Betrieb über den Umfang des Hand-
werks hinausgeht; die Ubernahme von Ver-
sicherungen gegen Prämie; die Bankier= und
Geldwechslergeschäfte; die Ubernahme der Be-
förderung von Gütern oder BReisenden zur
See, die Geschäfte der Frachtführer oder der
zur Beförderung von Personen zu Lande oder
auf Binnengewässern bestimmten Anstalten so-
wie die Geschäfte der Schleppschiffahrtsunter-
nehmer; die Geschäfte der Kommissionäre, der
Spediteure oder der Lagerhalter; die Geschäfte
der Handlungsagenten oder der Handelsmähler;
die Verlagsgeschäfte sowie die sonstigen Ge-
schäfte des Buch= oder Kunsthandels; die Ge-
schäfte der Druckereien, sofern ihr Betrieb über
den Umfang des Handwerks hinausgeht, be-
trifft. Auch wird jedes gewerbliche Unter-
nehmen, das nach Art und Umfang einen in
kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäfts-
betrieb erfordert, zum H. gerechnet, wenn die
Firma des Unternehmers im Handelsregister
eingetragen worden ist (§ 1).
II. H. unterliegen der Gewerbesteuer und
der Steuer vom Gewerbebetrieb im Umher-
ziehen wie andere Gewerbe, da die heutige
preuß. Gewerbebesteuerung die frühere Unter-
scheidung nach der Art des Gewerbes aufge-
geben hat; bis zum 1. April 1893 wurden sie
als stehende Gewerbe in den Gewerbesteuer-
klassen A l, A Il und B besteuert. Vgl. die
Artikel Gewerbesteuer und Hausierge-
werbe (Besteuerung). Sondersteuern für
einzelne Arten des H. sind die Warenhaus-
und die Wüanderlagersteuer ((. d.).
Handelsgewohnheitsrecht s. Handelsge-
setzbuch II.
andelskammern. I. Allgemeines. Bis
zum Jahre 1840 bestanden H. nur in einzelnen
Städten der KRheinprovinz, in den östlichen
Provinzen gab es lediglich Raufmännische Kor-
porationen (s. d.), denen durch ein vom Könige