Full text: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Erster Band (A-K). (1)

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Rechts zum Gebrauch kirchlicher Straf— 
und Zuchtmittel, 2. über die Vorbil- 
dung und Anstellung der Geistlichen, 
3. Üüber die kirchliche Disziplinargewalt 
und die Errichtung des kgl. Gerichts- 
hofes für Rhirchliche Angelegenheiten, 
4. über den Austritt aus der Kirche 
vorgelegt (Druchs. Ar. 23, 95, 94). Der letzte 
bildete einen Ausfluß der durch Art. 12 Bll. ge- 
währten Religionsfreiheit. Der zweite wollte 
gesetzliche Garantien für die nationale und 
von konfessionellen Vorurteilen freie Bil- 
dung des Klerus schaffen, die beiden an- 
dern bezweckten, Ubergriffe der Kirche in die 
staatliche Machtsphäre zu beseitigen. Die Ent- 
würfe fanden, mit wenigen unerheblichen 
Anderungen, die Billigung des Landtags 
und wurden, nachdem inzwischen durch G. vom 
5. April 1873 (GS. 143) Art. 15 u. 18 VU. 
abgeändert worden waren, unter dem 13. Mai 
1873 (GS. 205 — f. Kirchenzucht); 11. Mai 
1873 (GS. 191 — s. Geistliche, Anstellung 
und Vorbildung); 12. Mai 1873 (GS. 198 
— s. Disziplinargewalt, RNirchliche) und 
14. Alai 1873 (GS. 207 — f. Austritt aus 
der Kirche) publiziert (sog. Maigesetze). Die 
nächsten Jahre führten zu einer Deklaration 
des Gesetzes über die Vorbildung der Geist- 
lichen durch G. vom 21. Mai 1874 (GS. 139) 
und zu einem G. über das Verbot der geist- 
lichen Orden und der ordensähnlichen 
Kongregationen (s. Katholische geistliche 
Orden und ordensähnliche Kon- 
gregationen) vom 31. Mai 1875 (GS. 217), 
ferner zu dem G. über die Verwaltung er- 
ledigter kath. Bistümer vom 20. Mai 1874 
(GS. 135 — s. Bistümer, Verwaltung 
erledigter) — und dem G. über die 
Einstellung der Leistungen aus 
Staatsmitteln für die röm.-kath. Bis- 
tümer und Geistlichen vom 22. April 1875 
(GS. 194 — sog. Sperrgesetz). Eine 
geregelte staatliche Aufsicht über die Ver- 
mögensverwaltung der Kirchengemeinden unter 
weitgehender Beteiligung von Gemeinde- 
organen an der Verwaltung wurde sodann 
durch das G. vom 20. Juni 1875 (GS. 241) 
— s. Katholische Kirchengemeinden —, 
und eine staatliche Aufsicht über die Ver- 
mögensverwaltung in den kath. Diözesen durch 
das G. vom 7. Juni 1876 (GöS. 149) — s. 
Bischöfliche Vermögensverwaltung — 
herbeigeführt. Endlich wurden durch G. vom 
18. Juni 1875 (GS. 259) die Art. 15, 16 u. 18 
der Verfassung völlig aufgehoben. 
II. Revision. Während die die Vermögens- 
verwaltung der Kirchengemeinden und der 
Bistümer betreffenden Gesetze von vornherein 
einen dauernden Charakter an sich trugen und 
in der Folgezeit wenig geändert sind, waren 
andere durch den wachsenden Widerstand des 
Episkopats und der kath. Geistlichkeit hervor- 
gerufene Kampfgesetze. Zu denselben gehörten 
neben dem von Reichs wegen erlassenen o9. 
Expatriierungsgesetze vom 4. Mai 1874 (Ac- 
Bl. 43) insbesondere auch das Sperrgesetz 
vom 22. April 1875, sowie eine Reihe von Be- 
stimmungen in den übrigen kirchenpolitischen 
Gesetzen. Auch das während des sog. RKultur- 
  
Kirchenpolitische Gesetze — Kirchenpolizei. 
kampfes erlassene G., betr. die Rechte der 
altkath. Kirchengemeinschaften an dem kirch- 
lichen Vermögen, vom 4. Juli 1875 (GS. 333 — 
s. Altkatholiken)charakterisiert sich selbst im 
8 1 als eine vorläufige („bis auf weiteres“) 
getroffene Ordnung. Die Staatsregierung ver- 
kannte dies nicht und war sich klar darüber, 
daß der Zustand des Kampfes dem Staats- 
wohl auf die Dauer nicht dienen konnte. Als 
daher ein Wechsel in der Besetzung des päpst- 
lichen Stuhles eintrat und auch eine Verände- 
rung in der inneren Lage eine neue Auffassung 
der Verhältnisse im Parlament erwarten ließ, 
ögerte die Staatsregierung nicht, diejenigen 
aßregeln zu ergreifen, welche ein friedliches 
Verhältnis zwischen Staat und kath. Kirche 
anzubahnen geeignet erschienen. Der Mieder- 
schlag dieser Politik sind die G. vom 14. Juli 
1880 (GS. 285), 31. Mai 1882 (GS. 307), 
11. Juli 1883 (GS. 109) und die tiefgreifen- 
den G. vom 21. Mai 1886 (GS. 147) und 
29. April 1887 (GS. 127), die sog. kirchen- 
politischen Novellen. 
III. Das Ergebnis der Revision ist eine 
erheblich erleichterte und nur noch wenig be- 
schränkte Zulassung der kath. geistlichen Orden 
und Kongregationen (s. Katholische geist- 
liche Orden und ordensähnliche Kon- 
gregationen); die Aufhebung des Gerichts- 
hofes für kirchliche Angelegenheiten und damit 
die Beseitigung der Bestimmungen über die Ab- 
erkennung der Fähigkeit zur Bekleidung eines 
geistlichen Amtes (G. vom 21. Mai 1886 Art. 9), 
womit die wesentlichste Garantie gegen einen 
Mißbrauch der kirchlichen Disziplinargewalt, die 
Berufung an den Staat, in Fortfall gekommen 
ist; ferner eine Abschwächung der Vorschriften 
für eine den Staatszwecken entsprechende Vor- 
bildung der Geistlichen durch die Wieder= und 
A-eueröffnung der Rirchlichen Seminare und 
Konvikte. Aufrecht erhalten sind im wesent- 
lichen, abgesehen von den Vermögensverwal- 
tungsgesetzen, und der durch dieselben begrün- 
deten Staatsaufsicht, sowie den Bestimmungen 
über die Ordensniederlassungen, ein Teil der 
Vorschriften über die Vorbildung der Geistlichen; 
ferner die Aufsicht des Staates über die Rirch- 
lichen Seminare und sonstigen kirchlichen Bil- 
dungsanstalten, sowie die Demeritenanstalten, 
und endlich die Verpflichtung der geistlichen 
Obern zur Benennung der in ein Pfarramt zu 
berufenden Geistlichen an den Oberpräsidenten 
mit dem BRechte des letzteren, gegen die Be- 
rufung aus bestimmten Gründen Einspruch zu 
erheben (s. Einspruchsrecht des Staates 
bei Ubertragung geistlicher Amter). Auch 
dieses Einspruchsrecht ist indessen in seiner Wir- 
kung dadurch abgeschwächt, daß es nur An- 
wendung findet, wenn ein Pfarramt dauernd 
üÜübertragen wird, und daß ein Zwang zur 
Wiederbesetzung erledigter Stellen nicht mehr 
stattfindet. # # 
Kirchenpolizei ist der Inbegriff derjenigen 
Maßnahmen, welche die äußere Ordnung in 
den zum Gottesdienst bestimmten Gebäuden 
und andern gottesdienstlichen Zwechen dienen- 
den kirchlichen Veranstaltungen, sowie den 
Schutz der erlassenen Ordnungen betreffen. 
Der Erlaß der Ordnungen selbst ist Sache der
	        
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