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zu bestreiten (§ 1). Die Uberlassung der Stellen
an die Ansiedler kann zu Eigentum gegen
Kapital oder Rente oder auch in Zeitpacht
erfolgen (§ 2). Die Regel bildet die Uberlassung
zu Eigentum gegen Rente. Daneben wird,
namentlich in neuerer Zeit, von der Möglich-
keit pachtweisen Erwerbes, insbesondere seitens
kapitalschwacher Ansiedler, die das für Renten-
stellen erforderliche Ausrüstungsvermögen nicht
besitzen und statt dessen zur Einrichtung der
Stelle vom Staate ein niedrig verzinsliches
sog. Ergänzungsedarlehn erhalten, ein ausge-
dehnterer Gebrauch gemacht, während der Er-
werb zu Eigentum gegen Kapitalzahlung eine
verschwindende Ausnahme bildet. Die Rente
oder Pacht beträgt im allgemeinen 3 v. H. des
sog. Anrechnungswerts der Stellen, der sich
einerseits aus dem vom Staate für den Grund
und Boden nebst etwaigen Gebäuden auf-
gewendeten Selbstkostenpreise, andererseits aus
den anteiligen Kosten der Zwischenverwaltung
und der etwa vorgenommenen Meliorationen
zusammensetzt. Bei den immer höher an-
schwellenden Güterpreisen ist man jedoch neuer-
dings behufs Erhaltung der Leistungsfähigkeit
der Ansiedler mehrfach von dem Normalsatz
von 3 v. H. abgegangen und hat die Rente
oder Pacht niedriger bemessen. Die Ablösbar-
Rkeit der Rente kann von der Zustimmung
beider Teile abhängig gemacht werden. Der
Ablösungsbetrag und die Kündigungsfrist wer-
den durch besondere Vereinbarung festgestellt,
doch darf der Staat, wenn die Ablösung auf
seinen Antrag erfolgt, höchstens den 25fachen
Betrag der Renten fordern (§ 3). Um dem
Staate einen dauernden Einfluß auf die von
ihm gebildeten Ansiedlerstellen zu sichern, wird
in der Praxis regelmäßig vereinbart, daß der
zehnte Teil der Rente ohne Zustimmung des
Staates nicht abgelöst werden darf. Soweit die
Stellen zu Eigentum ausgegeben werden, findet
auf sie das G., betr. das Anerbenrecht bei
Renten= und Ansiedelungsgütern, vom 8. Juni
1896 (GS. 124) Anwendung (s. Anerben--
recht). Die aus Anlaß des Gesetzes statt-
findenden Akte der freiwilligen Gerichtsbar-
keit, einschließlich der grundbuchrichterlichen
Tätigkeit, sind stempel= und kostenfrei (§ 10).
Uber die Ausführung des Gesetzes, insbe-
sondere über die erfolgten Ankäufe und Ver-
Räufe, die A. und die Verwaltung der an-
gekauften Güter, ist dem Landtage jährlich
Rechenschaft abzulegen (§ 11). Die von den
Ansiedlern gezahlten Renten und Pachtzinsen
sowie die sonstigen Einnahmen aus wieder-
veräußerten Grundstücken und aus Zwischen-
nutzungen fließen dem Ansiedelungsfonds
wieder zu und sind als Einnahmen in einen
besonderen Etat der Ansiedelungskommission
aufzunehmen (§ 8). Ende 1905 wies der An-
siedelungsfonds bei einem Ausgabenüberschuß
von rund 284 Mill. M. (nämlich rund 370 Mill.
Ausgaben und 86 Mill. Einnahmen) noch einen
Bestand von rund 66 Mill. M. auf.
II. Zur Ausführung des Ansiedelungsgesetzes
ist durch V. vom 21. Juni 1886 (GS. 159) eine
besondere Kommission eingesetzt, die die
Benennung „Ansiedelungskommission
für Westpreußen und Posen“" führt und
Ansiedelungen in Westpreußen und Posen.
nach dem AE. vom 26. Juli 1886 (GS. 204) ihren
Sitz in der Stadt Posen hat. Sie besteht aus
den Oberpräsidenten von Westpreußen und
Posen, je einem Kommissar des Ministerpräsi-
denten, des ML., des FM., des Kult M. und
des Md J. sowie aus den vom König auf je
drei Jahre ernannten sonstigen Mitgliedern,
zurzeit sieben an der Zahl. Der Vorsitzende
und dessen Stellvertreter werden aus der Zahl
der Mitglieder vom König ernannt (§ 1). Der
Vorsitzende ist Mitglied im Hauptamt und hat
den Amtscharakter als Präsident mit dem
Range der Räte II. Klasse. Als sein Stell-
vertreter fungiert der Oberpräsident von Posen.
Dieser sowie die übrigen Mitglieder sind nur
Mitglieder im Nebenamte, bekleiden als solche
ein Ehrenamt und erhalten lediglich Tagegelder
und Reisekosten für die von ihnen, insbesondere
behufs Teilnahme an den Sitzungen der Kom-
mission, ausgeführten Reisen (§ 2). Der Vor-
sitzende führt die laufende Verwaltung, verteilt
die Geschäfte, bereitet die Beschlüsse der Kom-
mission vor und führt sie aus; er vertritt die
Kommission nach außen und führt den Schrift-
wechsel. Zu Vollmachten und sonstigen Ur-
kunden, durch die eine rechtliche Verpflichtung
übernommen wird, ist jedoch die Mitzeichnung
zweier Mitglieder der Kommission außer dem
orsitzenden erforderlich (6 5). Der Vorsitzende
ist befugt, in eilbedürftigen Fällen und wäh-
rend die Kommission nicht versammellt ist, selb-
staͤndig zu entscheiden. Dies ist namentlich
von Wichtigkeit für Ankäufe aus polnischer
Hand, die meist ein sofortiges Zugreifen er—
fordern. Der Vorsitzende kann auch Beschlüsse
der Kommission beanstanden und die Entschei-
dung des Staatsministeriums anrufen (8 6).
Dem Vorsitzenden werden nach Bedürfnis die
erforderlichen ständigen Hilfskräfte an Ober-
beamten, zurzeit 33, Subaltern= und Unter-
beamten zugeordnet, deren Dienstvorgesetzter
er ist (§ 7). Außerdem stehen ihm mehrere,
zurzeit vier, land wirtschaftliche Sachverständige
zur Seite, denen hauptsächlich die Abschätzung
der anzukaufenden und die technische Beauf-
sichtigung der in der Zwischenverwaltung be-
findlichen Güter obliegt. Diese sind nicht
Beamte, sondern stehen in einem Vertrags-
verhältnisse zur Ansiedelungskommisson. Die
Geschäftsführung der Kommission ist der Auf-
sicht des Staatsministeriums unterstellt und
hat sich nach denjenigen leitenden Gesichts-
punkten zu richten, die das Staatsministerium
bezeichnet (§ 11). Solche leitenden Gesichts-
punkte sind insbesondere hinsichtlich der Be-
handlung der Ankäufe aufgestellt worden. Der
Geschäftsgang der Kommission ist durch ein
vom Staatsministerium genehmigtes Regulativ
geordnet (§ 15). Die Kommission hat dem
Staatsministerium alljährlich über ihre Tätig-
keit Bericht zu erstatten (§ 14). Dies geschieht
durch Vorlegung von Jahresberichten, die
regelmäßig auch eine Ubersicht über die ge-
samte Tätigkeit der Kommission seit ihrem
Bestehen enthalten.
III. Uber die seitherigen Ergebnisse der
Tätigkeit der Ansiedelungskommission
ist folgendes zu bemerken: Von 1886 bis 1905
sind insgesamt 517 Güter mit 280 831 ha Größe