Full text: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Zweiter Band (L-Z). (2)

Offentlichkeit in der Rechtspflege und in verwandten Gebieten 
Gerichtsverhandlungen, für welche wegen Ge- 
fährdung der Sittlichkeit die Offentlichkeit aus- 
eschlossen war, oder aus den diesen Verhand- 
ungen zugrunde liegenden amtlichen Schrift- 
stücken öffentlich Mitteilungen macht, welche 
geeignet sind, Argernis zu erregen. 
. Die näheren Bestimmungen über die 
Offentlichkeit auf dem Gebicte 
der ordentlichen streitigen Ge- 
richtsbarkeit sind in den 3§ 170—176, 195 
GVGG. enthalten. Diese Bestimmungen schließen 
nicht aus, wegen Uberfüllung des Raumes Zu- 
hörer zurückzuweisen und den Eintritt nur gegen 
Einlaßkarten zu gestatten, auch ist es unschädlich, 
wenn einzelne Personen von einem Unterbeam- 
ten zurückgewiesen worden sind (R t. 2, 301; 
Rspr. 2, 361; 4 S. 152, 268). Dagegen kann 
es zur Aufhebung des Urteils führen, wenn die 
Türen geschlossen gewesen sind, ohne daß das 
Gericht hiervon Kenntnis hatte (R#St. 23, 218). 
  
Als Gefährdung der öffentlichen Ordnung (§ 173) 
genügt eine drohende Gefährdung des Unter- 
suchungszweckes (Rot. 30, 244), desgleichen 
eine zu befürchtende Belästigung oder Mißhand- 
lung von Zeugen sowie ein Mißbrauch der Offent- 
lichkeit durch die Zuhörer zu Störungen der Ver- 
handlung (Röst. 30, 104). Auch wenn durch 
einen besonderen Beschluß des Gerichts — der 
allgemeine Beschluß nach § 173 genügt nicht 
(R#t. 20, 383) — gemäß § 174 Abs. 2 für die 
Verkündung der Urteilsgründe oder eines Teiles 
derselben die Offentlichkeit ausgeschlossen worden 
ist, kann der Zutritt hierbei einzelnen Personen 
vom Gerichte gestattet werden wic im Falle des 
§s 176 Abs. 2 (RG#St. 33, 311). In dem Be- 
schlusse, durch welchen die Offentlichkeit ganz oder 
teilweise ausgeschlossen wird, muß der Grund 
  
angegeben werden; einer näheren Begründung 
bedarf es jedoch nicht, ebensowenig muß die An- 
gabe des Grundes mit den Worten des Gesetzes 
geschehen. Neben den §38 170—176, 195 GVG. 
gelten noch einige besondere Vorschriften; so muß 
nach § 51 GVG. die Beeidigung der Schöffen 
und nach §§ 281, 288 St PO. die Bildung der 
Geschworenenbank und die Beeidigung der Ge- 
schworenen in öffentlicher Sitzung stattfinden. 
Um die mit der Ausschließung der Offentlichkeit 
wegen Gefährdung der Staatssicherheit (GVG. 
§ 173) verfolgten Zwecke 7 sichern, ist in dem 
Falle einer solchen Ausschließung dem Gerichte 
die Befugnis gegeben, den anwesenden Per- 
sonen die Geheimhaltung von Tatsachen, welche 
durch die Verhandlung, durch die Anklageschrift 
oder durch andere amtliche Schriftstücke des Pro- 
zesses zu ihrer Kenntnis gelangen, zur Pflicht zu 
machen, und sind die Verletzung dieses Schwei- 
gegebots sowie die Veröffentlichung von! 
Berichten durch die Presse über die Verhandlung 
und nach der Beendigung des Verfahrens die der 
Anklageschrift oder anderer amtlicher Schrift- 
stücke des Prozesses mit Strafe bedroht (G. vom 
5. April 1888 — K Bl. 133 — Art. II u. III). 
Eine Verletzung der Vorschriften über die Offent- 
lichkeit des Verfahrens, die auf den Willen des 
Gerichts oder des Vorsitzenden zurückzuführen ist, 
sei es, daß sie durch eine Anordnung zu der 
Beschränkung Veranlassung gegeben oder es 
unterlassen haben, die vorliegenden und ihnen 
bekannt gewordenen tatsächlichen Beschränkungen 
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durch rechizeitiges Eingreifen zu beseltigen, 
bildet einen unbedingten Revisionsgrund (3P. 
§ 551; St PO. § 377; RG. in DJ3. 10, 171 
und in JW. 40, 247). Sie kann durch Wieder- 
holung der Verhandlung geheilt werden (Rt. 
35, 354). 
III., Auf dem Gebiete der freiwilligen 
Gerichtsbarkeit besteht keine Offentlich= 
keit der Verhandlungen, ebenso nicht auf dem des 
gewöhnlichen Verwaltungsverfahrens. Dagegen 
gilt sie regelmäßig auch für die mündlichen 
Verhandlungen vor den reichs- 
rechtlichen Sonder= und Verwal- 
tungsgerichten. So namentlich vor den 
Gewerbe= und den Kaufmannsgerichten (G. vom 
29. Juli 1890 in der Fassung vom 29. Sept. 
1901 — Rl. 353 # 38 und G. vom 
6. Juli 1904 — R Bl. 266 — 8§8 16), vor 
den Konsulargerichtsbehörden und den Schutz- 
gebietsgerichten, vor den Seeämtern und dem 
Obersceamte, vor den Schiedsgerichten für Ar- 
beiterversicherung und dem RNVA. (V. vom 
22. Nov. 1900 — RBl. 1017 — § 13 und V. 
vom 19. Okt. 1900 — RBl. 983 — § 35), vor 
dem Aufsichtsamte für Privatversicherung und 
vor dem B##. (UW G. vom 30. Mai 1908 
— R#Bl. 381 — § 50), ebenso vor den preuß. 
landesgesetzlichen Sondergerichten, 
z. B. dem Geheimen Justizrate (s. d.), sowie vor 
den Schiedsgerichten zur Entscheidung von 
Knappschaftsangelegenheiten und dem Ober- 
schiedsgericht in Knappschaftsangelegenheiten (V. 
vom 29. Nov. 1907 — GS. 301 — §+12; V. vom 
30. Nov. 1907 — GS. 312 — F 13). Offentlich 
ist jetzt auch die Hauptverhandlung vor den Mili- 
tärstrafgerichten, bei denen aber die Offentlich- 
keit nicht bloß aus entsprechenden Gründen wie 
bei den Zivilgerichten, sondern auch noch wegen 
Gefährdung militärdienstlicher Interessen aus- 
geschlossen und der Zutritt weiblichen Personen 
versagt werden kann, außerdem der Zutritt ak- 
tiver Militärpersonen nur beschränkt zulässig ist, 
der Verletzte jedoch regelmäßig zugelassen werden 
muß (s. auch Militärstrafrecht). Nicht 
öffentlich sind, weil eine mündliche Verhandlung 
im Sinne der ZPO. im Auseinandersetzungsver- 
fahren nicht stattfindet, die Verhandlungen vor 
den Auseinandersetzungsbehörden, namentlich 
den Generalkommissionen, und im Interesse der 
Parteien die Verhandlungen vor dem Patent- 
amt und vor dem R. in Patentsachen, ferner 
nicht öffentlich oder nur beschränkt öffentlich die 
vor den Disziplinar= und den Ehrengerichten (s. diese 
Artikel). Die Verhandlung vor der unteren Ver- 
waltungsbehörde über Anträge auf Bewilligung 
einer Invaliden= oder Altersrente ist nicht öffent- 
lich (Anw., betr. das Verfahren vor den unteren 
Verwaltungsbehörden, vom 15. Nov. 1908 — 
HMl. 369 — Ziff. 9). Die Hauptverhandlung 
vor dem Ehrengericht und vor der Berufungs- 
kammer an der Börse (s. d.) ist nicht öffentlich, 
doch kann das Ehrengericht bzw. die Berufungs- 
kammer die Offentlichkeit der Verhandlung an- 
ordnen; die Anordnung muß erfolgen, falls der 
Staatskommissar oder der Beschuldigte es bean- 
tragt, sofern nicht die Voraussetzungen des § 173 
GVG. vorliegen (Börsengesetz in der Fassung 
vom 27. Mai 1908 — RBl. 215 — §§ 14, 23 
Abs. 3). Das Entsprechende gilt für die münd-
	        
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