Full text: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Zweiter Band (L-Z). (2)

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die Zeitungsspedition soll die Beschäftigungszeit 
tunlichst auf 4 bis 9 Uhr vormittags, für den 
Handel mit Blumen und Kränzen dem örtlichen 
Bedürfnis entsprechend, aber nicht über 4 Uhr 
nachmittags hinaus, und für den ganzen Handels- 
verkehr in Badeorten, Luftkurorten und Plätzen 
mit starkem Touristenverkehr nicht über 5 Uhr 
nachmittags hinaus festgesetzt werden. Eine 
Vermehrung der Beschäftigungszeit bis auf 
zehn Stunden darf für keinen Ort an mehr 
als jährlich sechs Sonn= oder Festtagen zuge- 
lassen werden. Arbeiter, die an Wochentagen 
im Gewerbebetriebe beschäftigt werden, können 
an Sonntagen während der freigelassenen Stun- 
den im Handelsgewerbe tätig sein (Erl. vom 
10. Dez. 1909 — HMBl. 550 — und vom 
19. Mai 1910 — HMl. 188). Kraft Gesetzes 
sind, da GewO. § 105 c auch für das Handels- 
gewerbe gilt (Rt. 33, 352), dieselben Aus- 
nahmen wie für die Gewerbebetriebe (s. Sonn- 
tagsruhe im Gewerbebetriebe) zu- 
gelassen. Insbesondere darf für Notfälle und 
für die Inventur eine Sonntagsruhe auf- 
gehoben werden. Die Unternehmer haben 
hierüber ein Verzeichnis zu führen (GewO. 
§ 1056 Abs. 2). Für Gewerbe, deren voll- 
ständige oder teilweise Ausübung an Sonn- 
und Festtagen zur Befriedigung täglicher oder 
an diesen Tagen besonders stark hervortretender 
Bedürfnisse der Bevölkerung erforderlich ist, 
können durch den Regierungspräsidenten, im 
L B. Berlin durch den Polizeipräsidenten, 
Ausnahmen zugelassen werden (GewO. 8§ 105e). 
Hierher ist zu rechnen der Verkauf von Wein 
und Bier vom Faß über die Straße durch Gast- 
und Schankwirte und der Handel mit Erinnerungs- 
zeichen und geringwertigen Verbrauchsgegen- 
ständen. Für den Verkauf über die Straße 
dürfen alle Sonn= und Festtage freigegeben 
werden, während für den zuletzt genannten 
Handel nur alle Sonn= und Festtage in der Zeit 
vom 1. Mai bis 1. November bis 7 Uhr abends 
freigegeben werden dürfen. Für den ersten 
Weihnachts-, Oster= und Pfingstfeiertag darf 
außerhalb der Zeit für den Hauptgottesdienst 
der Handel mit Milch, mit Back= und Konditor- 
waren, mit Fleisch und Wurst, mit Vorkostwaren 
und mit Roheis von 5 Uhr morgens bis 12 Uhr 
mittags, der Milchhandel außerdem noch wäh- 
rend zweier Nachmittagsstunden, aber nicht über 
7 Uhr abends hinaus, ferner der Handel mit 
Kolonialwaren, mit Blumen, mit Tabak und 
Zigarren, sowie der Handel mit Bier und Wein, 
soweit er nicht schon als Verkauf über die Straße 
zugelassen ist, während zweier Stunden, jedoch 
nicht über 12 Uhr mittags hinaus, und für die 
Zeitungsspedition die Beschäftigung während 
der Vormittagsstunden von 4 bis 9 Uhr zu- 
gelassen werden. Für die übrigen Sonn= und 
Festtage, an denen eine fünfstündige Beschäfti- 
gungszeit zulässig ist, darf der Handel mit Milch, 
mit Back= und Konditorwaren, mit Fleisch und 
Wurst, mit Vorkostwaren und mit Roheis schon 
vor Beginn der allgemein zugelassenen fünf 
Verkaufsstunden von 5 Uhr morgens ab, außer- 
dem der Milchhandel noch für zwei weitere, nach 
den örtlichen Verhältnissen festzusetzende Nach- 
mittagsstunden, der Handel mit Back= und Kon- 
ditorwaren noch für eine solche Nachmittags- 
  
Sozialpolitik 
stunde, aber nicht über 7 Uhr abends hinaus, 
der Verkauf von Obst aus Obstpflanzungen 
während der Erntezeit auch nach Ablauf der 
allgemein zugelassenen fünf Stunden bis 7 Uhr 
abends gestattet werden. Am Totenfest und am 
Allerheiligentag oder dem diesem Tage vorher- 
gehenden Sonntage darf für den Handel mit 
Blumen und Kränzen, und falls einer der drei 
letzten Tage vor Neujahr auf einen Sonntag 
fällt, an diesem Sonntage für den Papierhandel 
die Beschäftigungszeit auf höchstens zehn Stunden 
verlängert werden. Wegen der Beschäftigung 
von Kindern bestehen besondere Bestimmungen 
(s. Kinder, in gewerblicher Bezie- 
hung). In Grenzbezirken zu außerpreußischen 
und außerdeutschen Staaten ist eine abweichende 
Regelung gestattet. Es genügt, wenn die An- 
ordnungen über die Beschäftigungszeit in orts- 
üblicher Weise bekanntgemacht werden (K. 
14, 383). Die Konditoren, die Kleinhändler 
mit Branntwein und andere Kaufleute, die 
gleichzeitig eine Erlaubnis zum Betriebe der 
Schankwirtschaft besitzen, sind in Beziehung 
auf ihr Handelsgewerbe den gleichen Beschrän- 
kungen wie die übrigen Inhaber offener Ver- 
kaufsstellen unterworfen. Wegen des Laden- 
schlusses an Sonn= und Festtagen s. Offene 
Verkaufsstellen III. Die Aussicht über 
die Durchführung der Sonntagsruhe steht der 
Ortspolizeibehörde zu (AusfAnw. z. GewO. 
Ziff. 124 ff.; Strafbestimmungen s. Sonn- 
tagsruhe im Gewerbebetriebe VIII). 
Sozialpolitik. Unter S. werden diejenigen 
Bestrebungen verstanden, die auf eine Besserung 
der wirtschaftlichen Verhältnisse und gesellschaft- 
lichen Lage der arbeitenden Klassen abzielen. 
Dabei werden unter den arbeitenden Klassen 
nicht nur die gewerblichen Arbeiter im Sinne des 
Titels VII GewO., sondern auch weitere Kreise, 
z. B. Hausgewerbetreibende, Handlungsgehilfen, 
Lehrer und Lehrerinnen und Privatbeamte ver- 
standen. Im engeren Sinne gehört zur S. die 
Regelung der Arbeitsverhältnisse zwi- 
schen Arbeitgebern und Arbeitern, und zwar durch 
a) Aufstellung von Vertragsnormen für Ge- 
sellen und Gehilfen, Betriebsbeamte und Lehr- 
linge (s. Arbeitsvertrag; Lehrver- 
trag; Betriebsbeamte); b) Abschluß 
von Tarifverträgen (s. d.); c) Regelung der Lohn- 
zahlung, insbesondere durch das Verbot des Truck- 
ystems (s. d. und Lohn); d) Abschaffung oder 
Milderung der Konkurrenzklausel (s. d.); e) Ein- 
führung eines weitgehenden Arbeiterschutzes 
(s. d.); f) die Gewährleistung eines weitgehenden 
Koalitionsrechts (s. Koalitions freiheit). 
Ferner sind dahin zu rechnen: die Regelung der 
Verhältnisse der Hausindustrie (s. d.) ins- 
besondere durch Zusicherung angemessener Löhne 
und Arbeitsbedingungen sowie durch Einführung 
der Arbeiterschutzbestimmungen und der Arbeiter- 
versicherung, die Einführung und der Ausbau der 
Arbeiterversicherung (Kranken-, Unfall-, Invali- 
den-, Hinterbliebenen- und Arbeitslosenversiche- 
rung), die Regelung der Stellenvermittlung ins- 
besondere durch Verbreitung der gemeinnützigen 
Arbeitsnachweise, die Förderung der unentgelt- 
lichen Rechtsauskunft, die Wohnungsfürsorge 
(s. d.), die Seßhaftmachung der Landarbeiter, 
die Schaffung von Wohlfahrtseinrichtungen. Die 
 
	        
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