Strafgesetzbuch — Strafprozeßordnung
Strafgesetzbuch. Nachdem die das Strafrecht
und den Strafprozeß umfassende Peinliche Ge-G
richtsordnung Kaiser Karls V. (Constitutio
Criminalis Carolina) von 1532 bis ins 19. Jahrh.
hinein die Grundlage des Strafrechts in Deutsch-
land gebildet hatte und zuerst für die österr.
Erbländer 1803 ein besonderes StGB. erlassen
worden, 1751 Bayern mit dem Codex juris
Bavarici criminalis, 1794 Preußen mit dem im
ALAR. II, 20 enthaltenen eigenen Strafrechte
und sodann verschiedene andere deutsche Staaten
mit besonderen St GB. gefolgt waren, wurde
1851 in Preußen ein neues St#B. veröffent-
licht. Hierdurch übernahm Preußen die Führer-
rolle bis zu dem St G. für den Norddeutschen
Bund vom 31. Mai 1870 (BG#Bl. 195). Dieses
trat in Kraft im Gebiete des Norddeutschen Bun-
des und in Hessen südlich vom Main am 1. Jan.
1871, in Elsaß-Lothringen am 1. Otkt. 1871, in
Württemberg, Baden, Bayern am 1. Jan. 1872
und auf Helgoland am 1. April 1891. Durch § 2
des G., betr. die Verfassung des Deutschen Reichs,
vom 16. April 1871 (RGl. 63) wurde es zum
Reichsgesetz erklärt und durch G. vom 15. Mai
1871 (RGBl. 127) zum StG#B. für das Deutsche
Reich umredigiert. Seitdem ist es vielfach ab-
geändert worden, am meisten durch die G. vom
26. Febr. 1876, vom 24. Mai 1880, vom 13. Mai
1891, vom 25. Juni 1900 und vom 17. Febr.
1908 (s. den Art. Majestätsbeleidigung;:
vgl. auch § 23 des Vereinsgesetzes vom 19. April
1908 — RBl. 151). Neben ihm befinden sich
noch Strafvorschriften in zahlreichen anderen
Reichsgesetzen, die teils andere Rechtsmaterien
kodifizieren (KO., Gew O., H., Versicherungs-
gesetze usw.) teils lediglich der Strafbestimmung
wegen erlassen sind (Sprengstoffgesetz vom
9. Juni 1884; G. gegen den Verrat militärischer
Geheimnisse vom 3. Juli 1893 usw.). Nach Art. 4
RV. liegt zwar die gemeinsame Strasgesetz-
gebung beim Reiche. Gemäß §§ 2 u. 5 EGStGB.
sind jedoch eine Reihe von besonderen Vor-
schriften des Reichs= und Landesstrafrechts, z. B.
über strafbare Verletzungen der Post-, Steuer-,
Jagd-, Forst= und Feldpolizeigesetze und über
den Holz(Forst) diebstahl in Kraft geblieben und
haben die Einzelstaaten die Befugnis zum Er-
lasse von Strafvorschriften für Materien behalten,
welche bisher nicht das Reich selbst mit der Ab-
sicht erschöpfender Regelung zum Gegenstande
seiner Gesetzgebung gemacht hat. Daher gelten
auch in Preußen noch zahlreiche landesstrafrecht-
liche Vorschriften, besonders auf dem Gebiete
der Übertretungen. Dem Gewohnheitsrecht ist
für das deutsche Strafrecht rechtserzeugende Kraft
abgesprochen, indem der § 2 St G. den Grund-
satz nulla poena sine lege zum Ausdrucke bringt;
nur der Begriff der Gewohnheitsmäßigkeit ist
anerkannt; -6 den Art. Gewohnheits-
recht V. Ein Vorentwurf zu einem neuen
deutschen Strafgesetzbuche nebst Begründung
ist 1909 veröffentlicht worden.
Die militärischen Verbrechen und Vergehen
waren in Preußen zuerst in dem St G. für das
preuß. Heer vom 3. April 1845 (GS. 287) er-
schöpfend bedroht worden. Am 4. Nov. 1867
wurde dieses in Sachsen und am 29. Dez. 1867
im Gesamtgebiete des Norddeutschen Bundes
eingeführt. An seine und der übrigen deutschen
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Militärstrafgesetzbücher Stelle ist sodann das MSt-
B. vom 20. Juni 1872, mit Gesetzeskraft vom
1. Okt. 1872, getreten. Das hierin kodifizierte
Militärstrafrecht ist gegenüber dem allgemeinen
Strafrecht ein Sonderrecht; soweit es reicht, ist
die Anwendbarkeit der allgemeinen Strafgesetze
ausgeschlossen. S. Militärstrafrecht.
Außer den zahlreichen Kommentaren zum Ste#. und
Lehr-= und Handbüchern des Strafrechts besonders noch von
Zeitschriften Archiv für Strafrecht und Strafprozeß, Der
Gerichtssaal, Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissen-
schaft, Monateschrift für Kriminalvsychologie und Straf-
rechtsresorm, Archiv für Kriminalanthropologie und Kri-
minalstatistik; Veraleichende Darstellung des deutschen und
ausländischen Strafrechts, herausgegeben von v. Birk=
meyer u. a.: Stengalein-Galli, Lerikon des
deutschen Strafrechts: Ebermayer, Galli, Lin-
denberg, Stengleins LKommentar zu den stras.
rechtlichen Nebengesetzen des Deutschen Reichs, 1909;
Warneyhyers Jahrbuch der Entscheidungen B; Jahr-
buch des Strafrechts und Strafprozesses, herausgegeben
von Sörgel und Krause: Groschuff-Eich-
horn--Delius, Die prenßischen Strafgesetze, 1904;
Lucas, Anleitung zur strafrechtlichen Praxis, 2. Teil:
Das materielle Strafrecht, 1907; v. Bar, Gesetz und
Schuld im Strafrecht, 2. Band: Die Schuld nach dem
St G.
Strafhaft s. Strafgefangene.
Strafkammern s. Landgerichte II.
Strafnachrichtens. Nachrichten verkehr
(polizeilicher) und Mitteilung von
Entscheidungen.
Strafprozeßordnung. I. Der german. und der
röm. Strafprozeß wurden nach der Völkerwande-
rung unter Hinzunahme kanonischrechtlicher und
gewohnheitsrechtlicher Elemente hauptsächlich von
den ital. Praktikern zum sog. roman. Strafprozeß
aus= und umgearbeitet, der dann bei der Re-
zeption des röm. Rechtes auch in Deutschland
Eingang fand, ohne jedoch den einheimischen
ganz verdrängen zu können. In diesen Rechts-
zustand griff die Peinliche Gerichtsordnung
Kaiser Karls V. (Constitutio Criminalis Carolina)
von 1532 (s. Strafgesetzbuch) ein, und
nach ihr und dem Gerichtsgebrauche bildete sich
das gemeine deutsche Strafprozeßrecht aus, in
welchem von der später, zuerst in Preußen durch
den König Friedrich II. 1740, abgeschafften
Folter ein ausgedehnter Gebrauch gemacht wurde.
Von der Mitte des 18. Jahrh. ab wurde schließlich
in fast allen deutschen Staaten der Strafprozeß
durch besondere Gesetze reformiert, in Preußen
durch die Kriminalordnung von 1805 und weiter
durch die V. über die Einführung des mündlichen
und öffentlichen Verfahrens mit Geschworenen
in Untersuchungssachen vom 3. Jan. 1849 mit
dem Zusatzgesetz vom 3. Mai 1852 (GE. 1849,
14; 1852, 209). Für das Deutsche Reich kamen
dann die St PO. und das E. dazu, beide vom
1. Febr. 1877 (ReBl. S. 253, 346) mit Gesetzes-
kraft vom 1. Okt. 1879 — für Helgoland vom
8. April 1891 (V. vom 22. März 1891 — RGl.
22) — ab zustande. Anderungen hat die St P.
bisher erfahren durch das G., betr. Anderungen
des GW. und der St PO., vom 17. Mai 1898
(Rl. 252), durch die G., betr. die Entschädi-
gung der im Wiederaufnahmeverfahren freige-
sprochenen Personen, vom 20. Mai 1898 (Rl.
345) und betr. die Entschädigung für unschuldig
erlittene Untersuchungshaft, vom 14. Juli 1904
(Rl. 321), sowie durch das G., betr. die Ab-
änderung des § 7 St PO., vom 13. Juni 1902
(R#Bl. 227); vgl. auch § 23 des Vereinsgesetzes
vom 19. April 1908 (RGBl. 151). 1908 ist der
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