Full text: Handwörterbuch der Preußischen Verwaltung. Zweiter Band (L-Z). (2)

Vereine 
oder Wohnsitz zu und ist, abgesehen von den 
politischen V., auch nicht von der Erreichung 
eines bestimmten Lebensjahres abhängig. Daher 
können auch Frauen V. bilden und V. neben 
Männern angehören. Reichsausländern steht 
dieses Recht nicht zu. Ob ihnen die Mitglied- 
schaft in V. zu gestatten ist, hängt von dem 
pflichtmäßigen Ermessen der Polizeibehörde ab. 
Maßnahmen der Polizei, welche den Ausschluß 
eines Ausländers aus einem V. bezwecken, 
dürfen sich nur gegen die Person des Ausländers, 
aber nicht gegen den V. richten. Als äußerstes 
Zwangsmittel steht der Polizei das Recht zur 
Ausweisung des Ausländers zu Gebote (s. Ausf- 
Vf. vom 13. Mai 1908— MBl. 1909, 14— Nr. 1). 
— Ein V., dessen Zrec den Strafgesetzen 
zuwiderläuft, kann nach § 2 des Reichsvereins- 
gesetzes ausgelöst werden. Die Auflösungs- 
verfügung der Polizeibehörde (in Preußen der 
Ortspolizeibehörde) kann in Preußen mit den 
durch 88 127ff. L VWG. bezeichneten Rechts- 
mitteln (Beschwerde und Klage im Verwaltungs- 
streitverfahren) angesochten werden. Die end- 
gültige Auflösung ist öffentlich bekanntzu- 
machen. Strafgesetzen laufen besonders solche 
Zwecke zuwider, deren Verfolgung durch St- 
GB. §§ 110, 111, 115, 116, 124, 125, 127—129 
verboten ist. Es kommt aber nicht darauf an, 
ob einzelne Mitglieder des V. bei ihrer Tätigkeit 
in dem V. gegen Strafgesetze verstoßen oder ob 
der V. als solcher ein einzelnes Strafgesetz ver- 
letzt oder ob er sich strafrechtlich verbotener Mittel 
zur Erreichung seiner Zwecke bedient, sondern 
nur darauf, ob der V. sich eine verbotene Tätig- 
keit zum Ziel gesetzt hat. — Sind nur Per- 
sonen unter 18 Jahren stimmberechtigte Mit- 
glieder eines politischen Vereins (s. unten 
III und IV), so läuft der Zweck des Vereins, 
dessen Verwirklichung ohne eine Verletzung der 
Strafvorschrift im § 18 Nr. 5 des Reichsvereins- 
gesetzes nicht denkbar ist, den Strafgesetzen zu- 
wider (OVG. vom 14. Okt. 1910 — I1 A 34/10). 
Welche Zwecke ein V. verfolgt, ist nicht lediglich 
aus seiner Satzung, sondern auch aus seinem tat- 
sächlichen Verhalten zu entnehmen. Der in der 
Satzung angegebene Zweck bleibt aber auch dann 
ein Vereinszweck, wenn er von dem V. tatsäch- 
lich nicht brtätigt wird (vgl. K G J. 26 C 37).— 
Der V. ist nicht verpflichtet, der Polizei an- 
zuzeigen, welchen Zweck er etwa neben dem 
in seiner Satzung angegebenen noch verfolgen 
will (OV G. 20, 439); die Polizei ist aber, wenn 
der Verdacht strafbarer Zwecke vorliegt, zu 
Nachforschungen hierüber unter Anwendung der 
ihr nach der St PO. zustehenden Mittel be- 
rechtigt. 
III. Begriff der politischen V. 
Abgesehen von der Befugnis der Polizei zur 
Auflösung von V., die strafbare Zwecke ver- 
folgen, unterliegen polizeilichen Beschränkungen 
nur die politischen V., d h. V., welche eine 
Einwirkung auf politische Ange- 
legenheiten bezwecken. V., die andere 
nicht strafbare Zwecke haben, sind keiner polizei- 
lichen Beaufsichtigung unterstellt. — Der Begriff 
der „politischen Angelegenheiten“ ist enger als 
der Begriff der „öffentlichen Angelegenheiten“ 
im früheren preußischen Vereinsrecht, dagegen 
weiter als der Begriff der Angelegenheiten einer 
  
  
v. Bitter, Handwörterbuch der preußischen Verwaltung. 2. Aufl. II. 
  
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politischen Partei. Unter politischen An- 
gelegenheiten sind solche zu verstehen, 
welche die Verfassung und die Tätigkeit des 
Staates (auf dem Gebiete der Gesetzgebung 
und Verwaltung) sowie der mit staatlichen Auf- 
gaben gesetzlich betrauten öffentlichrechtlichen 
Verbände und das Verhältnis des Staates zu 
anderen Staaten betreffen (vgl. R St. 16, 383; 
22, 340; KG J. 25, 20; K G. vom 7. Jan. 1910 — 
DJ3. 15, 541 — O. 42, 414; 56, 299 mit 
verschieden gefaßten Begriffsbestimmungen). Die 
bezweckte Ein wirkung des V. auf poli- 
tische Angelegenheiten kann eine unmittelbare 
oder eine mittelbare sein. Sie kann entweder 
unmittelbar auf die Herbeiführung bestimmter 
gesetzlicher Vorschriften und einer bestimmten 
Art der Handhabung der Verwaltung, ein- 
schließlich der äußeren Angelegenheiten und der 
Gerichtsbarkeit, gerichtet sein oder kann diesen 
Zweck mittelbar zu erreichen suchen durch Ver- 
breitung gewisser Auffassungen und Über- 
zeugungen bei den in der Gesetzgebung oder 
Verwaltung tätigen Personen und in der Be- 
völkerung, sowie durch Herbeiführung der Wahl 
von Personen einer bestimmten politischen Rich- 
tung zu jenen Geschäften. Je nach dem Zwecke, 
den ein politischer V. verfolgt, werden die Art 
seiner Tätigkeit und die angewendeten Mittel 
verschieden sein. Sie können namentlich in der 
Herbeiführung von „Resolutionen“ und „Peti- 
tionen", in Vorträgen und Erörterungen, in 
der Verbreitung von Druckschriften, in der Unter- 
stützung der periodischen Parteipresse, in Wahl- 
agitationen und in der Beschaffung der hierzu 
erforderlichen Geldmittel bestehen. — Die Ein- 
wirkung auf politische Angelegenheiten braucht 
nicht der einzige Zweck des V. zu sein, um 
ihn zu einem politischen zu machen (vgl. OV G. 
29, 429). Politische V. sind auch die polnischen 
Sokols (vgl. OVG. 49, 419; 51, 234; 55, 271). 
— Von der Geltung der für politische V. be- 
stehenden Vorschriften sind die Wahlvereine 
ausgenommen. Sie sind zwar begrifflich poli- 
tische V., sollen aber für einen bestimmten 
Zeitraum nicht als solche angesehen werden. 
Nach § 4 des Reichsvereinsgesetzes sollen näm- 
uch Personenmehrheiten, die vorübergehend 
zusammentreten, um im Auftrage der Wahl- 
berechtigten Vorbereitungen für bestimmte Wah- 
len zu den auf Gesetz oder Anordnung von Be- 
hörden beruhenden öffentlichen Körperschaften 
zu treffcn, vom Tage der amtlichen Bekannt- 
machung des Wahltages bis zur Beendigung des 
Wahlgeschäfts nicht als politische V. gelten. 
Zu den Wahlen im Sinne dieser Bestimmung 
gehören außer den Wahlen für die parlamen- 
tarischen und die kommunalen Körperschaften 
u. a. auch die Wahlen für die Handelskammern, 
Handwerkerkammern, Kaufmannsgerichte, Ge- 
werbegerichte, Berufsgenossenschaften, Kranken- 
kassen, Schiedsgerichte bei der Invaliditäts= und 
Altersversicherung usw. (Ausf Vf. vom 13. Mai 
1908 Nr. 4). Die Ausnahmebestimmung des 
s4 des Reichsvereinsgesetzes kann keine Anwen- 
dung finden auf V., die nicht nur vorübergehend 
behufs Vorbereitung bestimmter Wahlen zu- 
sammentreten, sondern eine dauernde Einwir- 
kung auf die Wahlen ohne zeitliche Beschränkung 
ihrer Tätigkeit bezwecken. Sie bezieht sich 
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